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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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irgendeinem Ruinengrundstück auf.
    Friedrich und seine Kollegen fanden die Frau in der Eisenbahnstraße, in einer Wohnung mit weggebombter Außenwand. Er wusste noch heute ihren Namen: Käthchen Zablinski. Als sie ihr zuriefen: »Kommen Sie runter!«, floh die Frau über das aufgebombte Treppenhaus nach oben. In der Draufsicht waren die Stufen nicht erkennbar, von der Straße sah es so aus, als würde die Frau im Zickzack an der Häuserwand entlang nach oben schweben, bis sie schließlich das Dach erreichte. Friedrich, der schnell und wendig war, kletterte ihr nach und erreichte sie an der Dachrinne, wo sie sich hingesetzt hatte und die Beine in den Strickstrümpfen baumeln ließ. Sie trug Militärstiefel, deren Schafte ihr um die dürren Waden schlackerten.
    Er setzte sich neben sie, sagte aber nichts. Tief unter ihnen wühlten ein paar Frauen in den Trümmern und zogen ein Sofa heraus, der Staub lag auf dem Stoff wie eine zweite Samtschicht. Drüben gähnten die Fensterlöcher ausgebrannter Häuser, und aus einem der Steinhaufen ragte unversehrt das Straßenschild. Das zeigte eine Richtung an, die es nicht mehr gab.
    »Ich will doch nur einen Mann haben«, sagte Käthchen Zablinski. »Einen, der gut zu mir ist und mich heiratet.«
    »Du glaubst, dass die Männer, die du bestiehlst, dich heiraten wollen?«
    »Nein. Aber ich will wenigstens irgendwas von ihnen. Die wollen ja auch was von mir, oder?«
    Dieses dumme Straßenschild, dachte Friedrich. Reckt sich wie ein Vogel Strauß und hat keine Ahnung, was hier passiert.
    Er betrachtete das Gesicht der jungen Frau, es hatte einen trotzigen Ausdruck angenommen. Er konnte ihr Haar riechen, das frisiert war, aber lange nicht gewaschen; es gab ja kaum Wasser. Sie war achtzehn Jahre alt, vielleicht.
    »Ich habe von allem nur Reste«, sagte sie. »Den Rest von unserem Haus, den Rest von meinem Vater, von meinen Brüdern nicht mal das. Warum soll ich dann nicht wenigstens auch den Rest von einem Mann haben dürfen? Und der Rest von einem Mann ist sein Geld, oder?«
    »Aber du weißt, dass du nicht stehlen darfst?«
    Käthchen Zablinski blickte auf die Frauen unten im Hof, die sich auf das verstaubte Sofa setzten. Dem Sofa fehlte ein Bein, darum saßen die Frauen schief. Auf der anderen Straßenseite brachen Kinder die Fensterkreuze der zerbombten Häuser heraus. Käthchen Zablinski begann zu lachen. Sie ließ ihre Beine schwingen, als säße sie auf einer Schaukel und nicht neben einem Kriminalassistenten an der Dachrinne eines aufgebombten Hauses.
    Friedrich betrachtete die Trümmer und das Straßenschild, und auf einmal fühlte er sich selbst wie das Straßenschild, das sauber und aufrecht dastand und so tat, als wäre nichts geschehen. Er rieb sich den Nacken und nahm Käthchen Zablinski fest. Sie bekam eine milde Strafe, die Stiefel durfte sie behalten.
    Friedrich verriet niemandem, dass er die Betrüger mochte. Sie zeigten ihm, dass wieder Leben in der Stadt war, nicht nur Überleben. Und während seine Kollegen mit den Jahren den Ausdruck müder, böser Hunde bekamen, blieb er sanft, behielt seine blitzenden Augen und lauschte den Wellen der Wünsche. Er wurde Kriminalsekretär und Kriminalmeister und irgendwann Kriminalhauptkommissar. Währenddessen wurde die Mauer gebaut, ein Land voller Aufbaulieder und Totschießereien umströmte Berlin, und Friedrich konnte es nicht glauben. Die Wirklichkeit ist überreizt vom Krieg, dachte er, das war alles zu viel für sie. Irgendwann wird sie sich schon erholen.
    Er dachte, dass alle, die U-Bahn fuhren, die in den Cafés saßen, die in die Schaufenster guckten oder ihre Kinder ausschimpften, in Wahrheit auf einer Scholle trieben, auf einer kaputten Berlin-Scholle, und niemals irgendwo ankämen. Oft musste er darüber lachen, manchmal vergaß er es auch. Er heiratete Ursula und bekam eine Tochter, die er Käthchen nannte und die später nach Amerika ging.
    Wenn er mit Käthchen telefonierte und das Pulsieren der Ferne in der Leitung hörte, dachte er, seine Tochter sei nur deshalb in die Welt hinausgegangen, um Berlin zu suchen, sein Berlin, das sich losgerissen hatte und irgendwo da draußen umhertrieb.
    Ursula und er besuchten Käthchen und ihren Mann Jeff alle paar Jahre in Minnesota. Jeff hatte ein breites Kinn, die Stromleitungen schnitten den weiten Himmel in Scheiben, und auf freien Wiesen bauten Leute neue Häuser. Bei jedem Besuch war Friedrichs Tochter faltiger und grauhaariger als das Mal zuvor, und er erschrak, sie

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