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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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Carsten trat ein. »Ich soll Herrn Bialla abholen.«
    »Die Zeit ist schon um?«, fragte Vosskamp. »Das ging aber schnell.« Er gab Friedrich zum Abschied die Hand. »Nehmen Sie einmal Urlaub von den Verbrechern, Herr Bialla.« Und zum Pfleger sagte er: »Sie müssen das Risperdal erhöhen.«
    »Auf wie viel?«, fragte der Pfleger.
    »Fragen Sie die Oberärztin.«
    Als Friedrich mit dem Pfleger durch das Treppenhaus nach unten ging, wusste er nicht mehr, wo sie waren. Eines der Bullaugen war gekippt, der Wind zischte in der Rille. Am Horizont sah Friedrich New York, alle Wolkenkratzer waren verschwunden. Das Meer war still. Friedrich fragte sich, ob die Zeit gefroren war. Und warum waren die Wellen so braun? Waren das Algen? Oder bedeckte ein Militärnetz das Wasser? Er kniff die Augen zusammen. Obwohl er die Wellenkämme deutlich sah, blieben sie doch unbeweglich. Er war traurig, aber er wusste nicht, worüber.
    Als die ersten blassen Sterne am Himmel erschienen, fand Friedrich sich im Salon wieder. Um ihn herum standen Palmen in großen Töpfen, und in der Ferne sah er die Lichter einer Stadt, sie würden wohl bald vor Anker gehen, aber er hatte keine Lust. Der Steward deckte den Abendbrottisch, er hatte orangerote Haare. Bald kamen die anderen Passagiere und begannen schweigend zu essen. Friedrich erkannte sie wieder, aber er konnte sich nicht an die Namen erinnern. Sie trugen Jogginganzüge und Hausschuhe. Friedrich ärgerte sich darüber, denn sicher hatte er viel Geld für diese Kreuzfahrt bezahlt, und das, obwohl er keine Schiffe mochte, und jetzt waren alle so schlampig. Ein Mann betrat den Salon, er hatte eine knöchrige Nase. Wenigstens er trug eine Krawatte.
    Ein Mädchen sah auf. »Du Schwein«, sagte es zu dem Mann, und da fiel Friedrich wieder ein, dass der Mann seine Frau geschlagen hatte.
    Bei der Schutzpolizei wurde Friedrich manchmal gerufen, wenn ein Mann seine Frau verprügelte. Die meisten Paare versöhnten sich, sobald die Polizei eintraf. Manchmal lagen die Schwellungen auf den Gesichtern der Frauen wie dunkle Gasmaskenteile, und zwischen den Teilen blickten zwei Augen in die Welt, gleichmütig, als wäre nichts geschehen. Dann musste Friedrich an den Bären denken, der am Rosenthaler Platz getanzt hatte, vor dem Tabakwarenladen Carl Martienzen, mit zerschundener Schnauze.
    Friedrich beschloss, den Mann zu verhaften. Nach dem Essen folgte er dem Ehepaar durch den langen, gelben Gang. Als er die beiden erreichte, schlug er dem Mann ins Gesicht. Weil Friedrich kleiner war, musste er den Arm weit ausstrecken, um das Gesicht zu treffen, er rutschte an der Nase ab, anstatt sie wie geplant von unten zu rammen. Trotzdem schrie der Mann kurz auf.
    »O Gott«, rief die Frau, »tut es weh?«
    »Gar nicht«, sagte der Mann.
    Doch, dachte Friedrich, es tat weh, dem Bären tat es weh und uns allen.
    Der Rotschopf kam angerannt, führte Friedrich in die Kabine und ließ ihn allein. Friedrich war sich unsicher, ob er nicht in Wahrheit am Rosenthaler Platz stand. Er erkannte, dass dieser Platz, der unter dem fluoreszierenden Schleier der Zeit lag, sein Gedächtnis war. Friedrich hatte nicht mehr so viele Worte, aber er ahnte, dass in diesem Leuchten der Sinn des Alters lag. Alles, was geschehen war, war geschehen, um in seinem Gedächtnis heranzureifen und eines Tages dort aufzuleuchten, und mit dem Leuchten erlosch es zugleich. Noch einmal sah Friedrich das Fadenspiel der Mädchen, oben am Himmel, riesig und grell.
    Vor den Bullaugen stand die Nacht. Ein paar Möwen stürzten sich lautlos nach unten, es konnten auch Schneeflocken sein. Friedrich war müde, irgendwas in ihm sauste abwärts, er hörte es in den Ohren. Da begriff er, dass sie auf Tauchstation gingen. Langsam senkte sich das Geisterschiff in den Ozean, tief in den Glanz von Ursula. Die Wellen rasten am Fenster vorbei, und Blasen stiegen auf. Oben schloss sich der Wasserspiegel zu einer weißen, glatten Fläche. Darüber sah Friedrich die Sprache schaukeln, er sah sie von unten, mit Muscheln und Algen am Rumpf, dann trieb sie fort. Friedrich wusste, wo er jetzt war. Er war in der Mitte seines letzten Wortes, das er mit in die Tiefe genommen hatte, um hier noch eine Weile zu atmen. Er war in Berlin.

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