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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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Patienten waren ein großer, dunkler Raum, aber ohne Echo.
    Bei der ersten Gelegenheit ging Friedrich nach draußen, an den vereisten Teufelssee, blickte auf die Wellen in den Wasserlöchern und horchte, was Falko mit den anderen besprach, aber sie witzelten nur herum. Erst auf der Rückfahrt im Bus bekam Friedrich etwas Neues heraus. Er beobachtete Falko und Lotti durch den Spalt zwischen den Sitzen. Lotti erzählte Falko, wie sie ihren Verlobten gesucht hatte.
    »Warum hast du dich nicht an Persecutio gewandt?«, fragte Falko.
    »An wen?«, fragte Lotti.
    »Persecutio International, den Schweizer Suchdienst. Der hat doch diese Entführten in Kolumbien gefunden, letztes Jahr. Ein Freund von mir arbeitet für die.«
    »Oh.«
    »Persecutio ist weltweit vernetzt«, sagte Falko, »die finden jeden. Das gab doch diesen Skandal, weil die mit irgendwelchen Folterstaaten kooperieren. Die wühlen sich nicht durch Archive, die machen alles informell, über Kontakte, Bestechungen, Mittelsmänner. Das sind harte Hunde.«
    »Das ist sicher teuer«, sagte Lotti.
    »Stimmt. Aber zahlen muss man nur im Erfolgsfall. Die sind auf ihren guten Ruf bedacht.«
    »Das heißt, ich könnte die auch beauftragen?«
    In dem Moment schaltete die Patientin, die neben Friedrich saß, ihre Musik ein. Die Musik drang so laut aus den Kopfhörern, dass Friedrich nichts mehr von dem verstand, was sich hinter ihm abspielte. Aber er wusste es auch so.
    In der Nacht machte er sich Sorgen um Lotti, und er beschloss, sie zu warnen. Als er durch den Flur ging, spürte er den kalten Boden unter seinen nackten Füßen. Die Station mit ihren gelben Türen war leer. Unter Lottis Tür drang Licht hervor und bildete einen Spiegel auf dem glänzenden gelben Fußboden. Friedrich legte die Hand an den Griff und schloss die Augen.
    Vielleicht bin ich wirklich auf einem Schiff, dachte er, und hinter der Tür ist Ursula.
    Er hörte sie leise weinen.
    Er betrat die Kabine. Hinten in ihrem Bett, unter dem Laken, sah Ursula größer aus als sonst, auch ihre Haare waren anders, glatt. Aber vielleicht war er wieder zwischen ihren Schichten, und vielleicht war sie von innen größer als von außen, und er stand zwischen ihrem Gesicht und dem Glanz.
    »Es war nicht die große Liebe«, schluchzte sie auf, »sondern es war Scham! Und er hat doch auf mich gewartet, wo immer er war.«
    Friedrich ging auf die schluchzende Frau zu, auf die schluchzende Schicht von Ursula, er wusste, er musste schnell sein, und bevor ihm ein Zweifel in die Quere kam, schlang er seine Arme um sie.
    »Pscht«, machte er, »pscht …«
    Er spürte, dass die Frau nicht Ursula war, sie hatte weiche Arme und einen breiten, ängstlichen Schoß. Und Friedrich war traurig. Er suchte den fremden Körper nach Ursula ab, er fand sie nicht. Und er war nicht der Mann, dessen Namen die Fremde stammelte, er spürte, dass sie es wusste und gleichzeitig nicht wusste, so wie er es wusste und gleichzeitig nicht.
    Auf einmal stand Pfleger Ingo da. »Wie eklig ist das denn«, schimpfte er, »könnt ihr euch nicht zusammenreißen? Rentnersex in meiner Schicht, ich halte es nicht aus! Bialla, ab ins Bett! Feierabend!«
    Er zog Friedrich aus dem Zimmer und brachte ihn zurück ins Bett.
    »Verdammt noch mal, Sie können nicht dauernd die alte Dame belästigen! Und dann auch noch zu ihr ins Bett steigen! Was haben Sie sich dabei gedacht?«
    Friedrich sah die stämmigen Beine des Pflegers in den weißen Hosen und seinen Bauch, der nach außen gewölbte Nabel zeichnete sich unter dem weißen Sweatshirt ab.
    »Ich wollte ihr helfen«, sagte Friedrich.
    »Helfen? Sind Sie noch bei Trost?«
    Pfleger Ingo hatte glatte Haut und dunkle Brauen und ließ immer wieder die Zunge zwischen den Lippen hervorschlüpfen. Friedrich wollte noch etwas sagen, aber der Pfleger begann wieder zu schimpfen.
    »Ich bin auch nur ein Mensch. Ich wollte anderen Menschen helfen, aber jetzt bin ich nur ein Kontrollgänger, ein Dienstbesprecher, Berichteschreiber, Medikamentenausgeber, Wärmflaschenverteiler, Beruhigungsteekocher, Kloputzer, Bedarfgeber, Selbstmordverhinderer, Fixierer, Alarmschläger, verdammte, gegrillte Scheiße! Ich muss immer normal sein! Ich muss mich immer zusammenreißen! Ich muss den Dreck wegmachen, während die feinen Damen und Herren Patienten träge in ihren Betten hängen! Und wer hier gesund entlassen wird, der gibt mir zum Dank noch einen Arschtritt, weil ich ihn einmal schief angeguckt habe! Was hatten Sie in Frau

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