Teufelsengel
Romy etwas passiert sein könnte. Sollte er sich nicht lieber Sorgen machen, als hier nörgelnd herumzusitzen? Aber er spürte ganz einfach, dass Romy ihn und das Essen vergessen hatte, so, wie er bei seinem Workshop Romy vergessen hatte.
Als er aufstand, knackten seine Gelenke vorwurfsvoll. Er reckte sich, bewegte den Kopf im Kreis, um seine Nackenmuskeln zu entspannen, beugte sich vor und berührte den Boden mit den Händen. So blieb er eine Weile. Danach fühlte er sich besser.
Er nahm die Auflaufform und schüttete den Inhalt in den Abfalleimer. Der Salat wanderte hinterher. Er räumte das Geschirr weg und pustete die Kerze aus. Als Letztes stopfte er die Tischdecke in den Wäschekorb. Er wollte nicht, dass irgendetwas übrig blieb, das an diesen Abend erinnerte.
In seinem Zimmer machte er kein Licht, sondern stellte sich im Dunkeln ans Fenster. Dicke Schneeflocken wirbelten umher. Die Autos fuhren langsam und vorsichtig. Die Strahlen der Scheinwerfer blieben im dichten Schneetreiben stecken. Nachbarn fegten die Wege frei. Vor dem Haus bewarfen sich Joy und eine Freundin kreischend mit Schnee.
Noch einmal wählte Calypso Romys Handynummer. Dann packte er seinen Rucksack, holte seine gefütterte Jacke aus dem Schrank, schrieb ein paar Zeilen auf einen Zettel, warf ihn in Romys Briefkasten und verließ das Haus.
Vero hatte Pia ein Klappbett ins Zimmer stellen lassen. Er hatte sie mit Bettzeug, Handtüchern, Kleidung und den nötigsten Toilettenartikeln versorgt. Es war besser für sie, wenn sie in dem kleinen Haus blieb. Sie würde ihre Kräfte noch brauchen.
Er hatte Bruder Miguel gebeten, ihr etwas zu essen zu bringen. Das Mädchen hatte lange genug gefastet. Sie hatte sich auf diese Weise gereinigt.
Auch er hatte auf Nahrung verzichtet und auf Schlaf, hatte gebetet und gebüßt. Sein Körper war übersät mit blutigen Striemen, sein Geist wach und klar. Er war gestärkt aus den Qualen hervorgegangen.
Er war dem Teufel gewachsen.
Dieser Abend und diese Nacht sollten der Kontemplation gehören, während draußen Schnee fiel und still und sacht eine Decke der Unschuld über die Sünden der Menschen breitete.
Bruder Miguel betrat das Zimmer und brachte den köstlichen Duft von gebratenem Hähnchen mit herein. Er balancierte das große Tablett auf der linken Hand, griff mit der rechten nach der Türklinke, drehte den Schlüssel im Schloss und zog ihn ab, bevor er auf den Tisch zuging.
»Ich bringe dir etwas zu essen«, sagte er und sah Pia endlich an.
Sie konnte das Erschrecken in seinen Augen erkennen, dann das Bedauern und schließlich das Mitgefühl.
»Lass mich gehen«, flehte sie ihn an, obwohl der Duft der Speisen ihr beinah den Verstand raubte. »Bitte!«
Er zog die Schultern ein wenig hoch, als wollte er sich in sich selbst verkriechen. Nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen.
»Bruder Miguel …«
Sie trat auf ihn zu. Die Furcht, die sie in seinen Augen las, erschütterte sie. Er würde ihr nicht helfen.
Der Schlüssel baumelte, zusammen mit vielen anderen, an seinem Gürtel. Bruder Miguel trug noch seine Arbeitskluft, weiße Hose, weißer Kittel, weiße Gummischuhe. Seine Wangen waren von der Küchenarbeit gerötet und glänzten.
»Hier sind lauter leckere Sachen, die du gern isst«, sagte er mit einer Stimme, in der sein schlechtes Gewissen mitschwang. »Hähnchen, kleine gebackene Knoblauchkartoffeln, Selleriesalat. Und griechischer Joghurt mit Honig und Nüssen.«
Während er sprach, hatte er mit raschen Handgriffen den Tisch gedeckt. Er hatte sogar eine Tischdecke mitgebracht. Pia mochte Bruder Miguel. Sie schätzte seine sanfte, fürsorgliche Art und seine freundliche Schüchternheit.
Aber jetzt ist er dein Feind.
Sie bemühte sich, nicht ständig auf seinen Schlüsselbund zu starren, an dem der Schlüssel zu ihrer Freiheit hing.
Du kannst dir Sentimentalität nicht leisten.
Bruder Miguel faltete eine blaue Serviette und legte Messer, Gabel und Löffel darauf. Pia stand neben ihm und sah ihm zu. Seine Finger waren flink und zuverlässig. Ein Schweißfilm bedeckte sein dickes Gesicht. Sein Atem ging schwer. Er hatte mindestens zwanzig Kilo Übergewicht.
Pia fragte sich, ob es ihr gelingen würde, ihn niederzuschlagen. Sie fragte sich, ob sie überhaupt fähig war, jemanden anzugreifen.
Zögere nicht länger. Tu es.
Sie griff sich an die Schläfen und massierte sie mit leichtem Druck. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren.
Sie konnte
Weitere Kostenlose Bücher