Teufelsfrucht
protestieren.
»Das is’ soo lange her, ché. Es geht dir gut, sí? Naturalmente! Lass uns in mein Büro gehen.«
Estebans geräumiges Arbeitszimmer befand sich ein Stockwerk tiefer. Es war mit einem großen Edelstahlschreibtisch ausgestattet, auf dem drei Telefone und zwei Computerbildschirme standen. An einer Wand hing ein riesiger Plasmafernseher, auf dem eine Kochsendung lief. Mehrere Designerregale bedeckten die Wände – sie waren vollgestopft mit Kochbüchern, viele davon Estebans eigene. »Leonardos beste Rezepte« auf Englisch, Französisch und Japanisch. »Das perfekte Steak« als DVD und so weiter.
An den Wänden hingen Dutzende gerahmte Bilder, die den Küchenstar mit Staatschefs, Wirtschaftsbossen und anderen Großköchen zeigten – Esteban, wie er mit Bocuse zusammen ein Soufflé löffelt, Esteban, wie er mit Jamie Oliver für afrikanische Waisenkinder kocht.
Der Küchenleonardo ließ sich in einen Ledersessel fallen und deutete auf eine Kiste Cohibas, die vor ihm auf einem Beistelltischchen stand. »Setz dich, nimm dir eine. Kaffee kommt inmediatamente. Xavier, amigo mío, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen! Dir geht es gut, está claro, du passt immer gut auf dich auf.«
Esteban deutete mit beiden Zeigefingern auf sich selbst und rollte dabei mit den Augen. »Aber ich! Ich sage dir, ich bin ganz kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Gleich muss ich schon wieder zum Flughafen, ich habe jetzt einen Charterjet, weißt du. So viele Menschen wollen etwas von mir. Ich schaffe es sonst einfach nicht, imposible! Ich mache mit Hambichler – du kennst doch Hambichler? Aus dem ›Dindon‹ in Hamburg, un buen hombre , aber kurz vor der Pleite, braucht dringend Geld – ich mache mit Hambichler jetzt dieses »Fantazzo«. Hast du davon gehört? Wir machen eine riesige Küchenshow im Wanderzirkus.«
»Ihr kocht in einer Manege?«
»No! Sí. Da sind Artisten, Gaukler und Feuerspucker. Die Leute zahlen 400 Euro und kriegen während der Vorstellung ein Menü serviert – kreiert von den Meisterköchen. Mit Indoor-Feuerwerk und allem Pipapo. Es ist zappenduster im Zelt, was auch besser ist, entre nosotros.« Esteban zwinkerte Kieffer zu. »Ché, hast du schon mal versucht, in einer portablen Küche mit wechselndem Personal ein Menü zu kochen? Ein Wahnsinn, sage ich dir, ein Wahnsinn. Ich hätt’s nicht machen sollen, ich bin mit meinen ganzen TV -Shows weiß Gott genug ausgelastet. Aber Hambichler ist eben ein alter Kumpel.« Esteban musterte seine dampfende Cohiba. »Über ihn habe ich damals meine Frau kennengelernt.«
Esteban hielt kurz inne, um an seiner Zigarre zu ziehen. Kieffer erkannte, dass sich jetzt vermutlich die einzige Chance bot, sein Anliegen vorzubringen. Ansonsten würde der Pampa-Prinz weitere 20 Minuten – während Kieffers gesamten Slots, um mit den Worten der Vorzimmerdame zu sprechen – von sich und seinen diversen Heldentaten erzählen.
»Boudier ist verschwunden, Leo.«
Esteban lehnte sich zurück und blickte irritiert an die Decke. »Boudier? Desaparecido? Ich habe doch im Mai noch mit ihm gesprochen, oder war es im Januar? Vielleicht macht er Urlaub?«
»Du weißt genau, dass er sein Restaurant nie länger als drei Tage verlässt, Leo. Und das auch nur dann, wenn es unvermeidlich ist.«
»Sí, sí. Also, ich habe ihn auf jeden Fall länger nicht gesehen. Aber was hat das mit mir zu tun, ché?«
»Ich glaube, dass ihm etwas zugestoßen ist. Das ›Renard‹ ist abgebrannt.«
»Was? Unsere escuela, unsere Schule! Na ja, ich hab ihm jahrelang in den Ohren gelegen, dass das alte Gemäuer brandschutzmäßig nicht auf dem neuesten Stand ist. Aber unser Paolo! Du kennst ihn, ché, er war zu geizig, wollte nichts investieren, der alte Knauser. Un error! Weißt du, Xavier, wir haben hier in unserer Küche eines der modernsten Brandschutzsysteme, das …«
Kieffer schnitt Esteban das Wort ab, was diesen sichtlich irritierte. »Das ›Renard‹ wurde abgefackelt, Leo. Brandstiftung! Boudier gilt seitdem als vermisst. Weißt du, wo er sein könnte? Weißt du, was er zuletzt gemacht hat?«
Die Tür öffnete sich. Eine attraktive rothaarige Kellnerin trat ein und stellte ein Tablett mit Espresso und Brandyschwenkern ab.
»Ah, den 103 kann ich gut gebrauchen«, sagte Esteban und prostete Xavier zu. »Auf Boudier, den alten Sklaventreiber!«
»Auf Boudier. Und nun sag schon: Weißt du etwas?«
Esteban schaute auf die Uhr. Sie hatten maximal zehn Minuten geredet, aber der Starkoch
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