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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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viele Leute beschäftigte, wie eigentlich notwendig waren.
    Ähnlich verfuhr Esteban bei den Zutaten. Sicherlich kam nur dann ein exzellentes Gericht zustande, wenn man auch exzellente Zutaten verwendete; aber Esteban war nach kurzer Zeit in der gesamten Branche für seine Verschwendungssucht berüchtigt.
    Auf dem Pariser Großmarkt wurden die Langusten knapp? Esteban hatte sie alle aufgekauft. Gesuchte Jahrgänge gewisser Grands Crus Classés aus dem Bordeaux gingen zur Neige? Esteban hatte eine Château-Tour gemacht und genug Rebensaft erstanden, um damit mehrere Schwimmbäder zu füllen. Und natürlich hatte er mehr gezahlt, als üblich war, und auf Jahre hinaus die Preise ruiniert.
    Mit dieser Taktik kam der Argentinier zwar betriebswirtschaftlich gesehen nicht auf seine Kosten, aber auf ein gewisses Qualitätsniveau. In diversen Feinschmecker-Magazinen wurde »La Revolución« über den grünen Klee gelobt – wobei es vermutlich nicht schadete, dass die fraglichen Blätter von einem gewissen Brauereiimperium überreichlich mit Anzeigen versorgt wurden.
    Einen Gabin-Stern ergatterte Esteban allerdings nicht – und nach Kieffers fester Überzeugung würde er auch nie einen erhalten. Esteban war schlichtweg zu unoriginell. Das »Revolución« war bekannt für seine guten Steaks und für sein Seafood – beides war beim Publikum zwar beliebt, aber für Sterneküche schlichtweg zu banal, zu unrevolutionär. Der zweite große französische Restaurantführer, der Gabin-Konkurrent Levoir-Brillet, attestierte Estebans Lokal aber immerhin »sehr gute Küche« und verlieh ihm 14 von 20 möglichen Punkten.
    Auch hier munkelte man, es seien Gelder geflossen. Doch selbst wenn das nicht stimmte: Auf solch eine Wertung kamen allein in Deutschland über 200 weitere Restaurants. Die löbliche Erwähnung in einem französischen Top-Führer reichte nach Estebans Selbsteinschätzung aber auf jeden Fall aus, um sich selbst fürderhin als »Spitzenkoch der Extraklasse« anpreisen zu können.
    Seit »Estebans Küchenrevolution« zur beliebtesten Kochshow im französischen Fernsehen aufgestiegen war, waren auch die letzten Zweifler verstummt. Weil der Starchef dank Redegewandtheit und Sprachtalent die Zubereitung seiner argentinischen Rinderhüftsteaks auch in Spanisch, Italienisch, Deutsch und Englisch erläutern konnte, tänzelte er bald durch mehrere Shows auf der ganzen Welt.
    Kieffer fühlte sich mitunter von Esteban verfolgt. Das lag daran, dass man dem enorm populären »Leonardo der Küche«, wie sich der Argentinier inzwischen nannte, kaum mehr entrinnen konnte. Esteban fuchtelte im Fernsehen auf mehreren Kanälen am Herd herum, sein makelloses Keramikgebiss grinste Kieffer an jedem Zeitschriftenstand und in jedem Buchladen entgegen.
    Auch im Supermarkt war es kaum möglich, dem Pampa-Prinzen zu entgehen. Vom Etikett seiner Gewürzmischung »Asado Patagónico« schaute Esteban auf ihn herab, mit spöttischem Blick musterte er Kieffer von der Packung seiner Mikrowellen-Empanadas.
    Kieffer befand sich inzwischen auf einer kleinen Landstraße, die westlich an Bitburg vorbei zu einem Country Club mit Golfanlage führte. Im auf dem Gelände liegenden Luxushotel, das zu den umfänglichen Liegenschaften des Ritterdorf-Clans gehörte, befand sich Estebans Restaurant.
    Es war nicht ganz einfach gewesen, einen Termin beim Küchen-Leonardo zu ergattern. Die Vorzimmerdame hatte Kieffer darüber unterrichtet, dass ihr Chef derzeit an einer Eventtour teilnehme, bei der Esteban und seine Equipe sechsgängige Dinner in einem durch ganz Europa reisenden Varieté-Zirkus servierten.
    Kieffer hatte dennoch eine Nachricht hinterlassen und einen Tag später die Information erhalten, dass der »Jahrhundertkoch« am Freitag für einige Stunden in der Eifel weilen werde. »Viel Zeit hat er natürlich nicht, aber er sagte mir, ich solle Ihnen einen Twenty-Minute-Slot geben«, hatte Estebans Assistentin erklärt.
    Er war sich nicht sicher, ob das im estebanschen Raum-Zeit-Kontinuum eine lange Periode war – angesichts des eng getakteten Terminkalenders seiner Hoheit vermutlich schon. Kieffer hatte sich nicht beschwert. Schließlich würde es ihm schon schwerfallen, nur zehn Minuten mit dem argentinischen Gimpel zu ertragen.

[Menü]
    16
    Kieffer parkte vor dem Hotel. Es handelte sich um eines jener in den Neunzigerjahren errichteten Wellnesshotels, deren Fassade aus mit künstlicher Patina versehenen Rotklinkersteinen und riesigen Glasfronten bestand.

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