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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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hatte die Speisekarte noch nicht in Augenschein genommen, ging aber davon aus, dass Esteban seine Kundschaft nach allen Regeln der Kunst ausnahm.
    Der Argentinier hatte ihm einmal seine kulinarische Grundeinstellung erläutert – nämlich, dass er Gäste von Edelrestaurants grundsätzlich für dumm und frech halte. »Dumm, weil sie Unmengen von Geld für winzige Portionen ausgeben. Und frech, weil sie dafür auch noch Frische und Qualität wollen.«
    Kieffer konnte sich folglich vorstellen, wie Estebans Standardware aussah. »Leonardos fünfgängiges Empfehlungsmenü« oder so ähnlich. Er würde den Leuten zunächst einen Standardsalat vorsetzen, Rauke oder Lollo rosso, den er mit ein paar ungewöhnlichen südamerikanischen Früchten garniert und in so viel Vinaigrette oder Kernöl ertränkt hatte, dass man ohnehin nichts mehr schmeckte. Als Nächstes käme eine Suppe – vermutlich getrüffelt und monté au beurre. Flüssigkeiten kurz vor dem Servieren mit reichlich kalter Butter aufzuschlagen, sorgte stets für einen satten Geschmack und war gewissermaßen die kulinarisch akzeptable Variante des Natriumglutamats.
    Dann würde ein kleiner Hauptgang folgen, ein Primo.Vielleicht gab es eine Pasta mit etwas Languste, das machte immer etwas her. Die Pasta konnte man vorkochen und fix in Olivenöl abschwenken, bevor man sie auf den Teller knallte. Die ebenfalls schon am Morgen präparierte Languste wanderte aus dem Kühler für 30 Sekunden in die Mikrowelle, bevor sie auf den dampfenden Tagliatelle Platz nahm. Das war ein Gang, den im Notfall sogar ein plongeur anrichten konnte.
    Höhepunkt würde sicherlich ein monströses argentinisches Filetsteak sein, ein bife de lomo. Das war ein relativ teurer Brocken, der aber den Vorteil hatte, dass ein gewiefter Postenkoch ihn binnen weniger Minuten und in fast beliebiger Stückzahl raushauen konnte. Nach diesem Fleischgang mochte ein Nachtisch folgen, vielleicht Crème brûlée oder, was wahrscheinlicher war, eine argentinische Spezialität wie dulce de leche oder Süßkartoffelpudding mit Vanille.
    Bis auf das Steak konnte man alle Komponenten dieses Menüs problemlos am Vortag vorbereiten. Mithilfe einer Armee emsiger Garnierer und gardemangers sowie des ungehemmten Einsatzes von Industriemikrowellen und Salamander-Grills ließ sich beim Gast dennoch der Eindruck erzeugen, alles sei gerade eben erst frisch für ihn zubereitet worden. Der Unterschied war selbst für einen geübten Gaumen kaum herauszuschmecken. Den Süßkartoffelpudding könnte Esteban, wenn er wollte, sogar aus der Dose nehmen. Keiner seiner überfütterten Hotelgäste würde es merken.
    Für dieses bessere Convenience-Food würde Esteban den Leuten um die 200 Euro abknöpfen – den Wein nicht eingerechnet. Hier konnte der Starkoch nochmals ordentlich zulangen – vor allem bei all den südamerikanischen Tropfen, die hierzulande niemand kannte. Selbst versierte Weintrinker waren bei argentinischen Lagen in der Regel überfordert und wussten nicht, dass der von Estebans Sommelier angepriesene Cabernet Sauvignon aus dem Uco-Tal in Wahrheit ein einfallsloser Industriewein war, für den ein Argentinier nicht einmal einen Bruchteil dessen zahlen würde, was das »Revolución« für eine Flasche verlangte.
    All das klang auf den ersten Blick nach fetten Margen – Kieffer konnte allerdings schon an der Aufstellung der Tische und an der Zahl der Bediensteten erkennen, dass hier kein großes Geld verdient wurde. Einen Speisesaal dieser Größe würde jeder vernünftige Restaurantmanager mit mindestens doppelt so vielen Stühlen füllen.
    Zudem fiel ihm auf, dass die Kellner nicht mehrere Tische betreuten – sondern jeder offenbar nur einen. Das war eine absurde Verschwendung, garantierte aber natürlich rundum zufriedene Gäste. Und Esteban musste hier schließlich auch nichts verdienen, sondern höchstens seine Verluste minimieren. Es ging nur ums Image. Das Geld machte der Küchenleonardo mit seiner Geschirrserie, seinen Gewürzmischungen und seinen Kochbüchern, die in seinem Restaurant selbstverständlich erhältlich waren.
    Es war bereits nach 15 Uhr, als die Küchentür aufflog und Esteban mit strahlendem Lächeln und ausgebreiteten Armen heraustrat. Er lief federnden Schrittes auf die Bar zu, wie ein Showmaster, der unter dem Applaus des Publikums die hell erleuchtete Bühne betritt. »Xavier, mon frère«, rief er und schloss Kieffer in seine Arme, bevor dieser irgendeine Möglichkeit hatte zu

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