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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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»dass nur aus mindestens 95 Prozent Kasein bestehende Produkte auf Packungen und Kennzeichnungen die Bezeichnung Käse führen dürfen«. Jedoch war die bislang einzige Quelle des Kaseins in keinem der Paragrafen explizit erwähnt: Kühe. Warum auch? Der Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass niemand an Kühen als Quelle für Kasein vorbeikäme.
    Wyss’ Kunstmilch-Kasein ähnelte aber chemisch gesehen dem aus dem Euter einer Kuh, und zwar so stark, dass die Lebensmittelbehörden keinen Grund fanden, Hüetli die Zulassung zu verweigern. Im vergangenen Jahr hatte der Konzern deshalb zehn neue Kunstkäsesorten auf den Markt werfen können. Diese wurden als ganz normale Käse verkauft, wenngleich sie ausschließlich aus Pflanzenfetten und toten Tieren bestanden. Die Verbraucherschützer tobten.
    Wyss hingegen war nun beinahe auf dem Olymp angekommen. In einem Schweizer Wirtschaftsblatt wurde spekuliert, der Chemiker könne demnächst Hüetli-Chef Nils Witterling beerben, der in zweieinhalb Jahren die Altersgrenze von 65 erreichen würde.
    Kieffer legte die Ausdrucke aus der Hand und beförderte sie auf den losen Stapel, der neben seinem Liegestuhl lag. Es war inzwischen dunkel geworden, und er merkte, wie ihm die Feuchtigkeit des Flusses allmählich durch seinen Wollpulli in die Knochen kroch. Eine der beiden Weinflaschen war bereits leer, von der zweiten war bereits ein Viertel verschwunden.
    Er hörte ein leises Knurren. Sein Magen verlangte nach etwas anderem als Moselwein und Tabak. Nun fiel Kieffer auch wieder die Poularde ein, die auf kleiner Flamme seit Stunden in seiner Backröhre vor sich hin schmorte. Das Huhn würde inzwischen jegliche Festigkeit verloren haben und fast vom Knochen abfallen. So aß er es am liebsten.
    Er klemmte sich den Papierstapel unter den Arm, griff nach Pinot Blanc und Käseteller. Dann löschte er die Gartenleuchte, in deren Schein er gelesen hatte, und trottete zurück zu seinem Haus. Kieffer spürte den Weißwein in seinem Blut, hatte jedoch keinerlei Probleme über den dunklen, ihm seit Jahrzehnten vertrauten Gartenweg zu seinem unbeleuchteten Haus zu gelangen. Gerade als er die Klinke der Hintertür hinunterdrücken wollte, hörte er ein Geräusch. Es klang, als schabe Metall über Holz.
    Er kannte dieses Geräusch nur zu gut. Es kam von der Treppe, die in den ersten Stock führte, genauer gesagt von der fünften Stufe von unten. Dort fehlten zwei der Schrauben, mit denen die Leisten des Treppenläufers befestigt waren, und wenn man auf die fragliche Stufe trat, schabte die Messingleiste des Läufers über das darunterliegende Holz. Die Schrauben fehlten schon, solange er sich erinnern konnte, und Kieffer wusste deshalb, wie man auftreten musste, wenn man das Geräusch vermeiden wollte. Seine Schwester, die einzige Person, die außer ihm einen Schlüssel zu seinem Haus hatte, wusste es ebenfalls. Fremde wussten es nicht.
    Kieffer trat einen Schritt von der Tür weg und lauschte. Linker Hand des Hintereingangs befand sich das Küchenfenster, aus dem schwaches Licht drang. Lampen hatte er keine angemacht, als er nach Hause kam. Aber die Backofenleuchte warf ein fahles Licht auf den Küchentisch und die dahinterliegenden Schränke. Plötzlich sah er einen Schatten an der Wand vorbeihuschen. Kieffer trat zwei Schritte nach rechts, weg von dem Küchenfenster.
    »Was machst du da, Gilbert? Hast du nichts Besseres zu tun, als in der Küche rumzuhängen? Du solltest das Gebäude sichern.«
    Fast hätte Kieffer den Rivaner fallen lassen. Er kannte diese Stimme. Er war sich sicher, dass sie dem gleichen Mann gehörte, vor dem er aus Boudiers Fuchsbau geflohen war.
    »Oben ist keiner. Sieht so aus, als wäre er überhaupt nicht hier. Hast du hinten gesichert? Gibt es einen Ausgang aus dem Garten?«
    »Keine Ahnung, wollte ich gerade checken, da ist mir das hier aufgefallen.«
    »Hier ist doch ni… verdammt, der Ofen ist ja an.«
    Kieffer stellte hastig Flasche und Teller ab und wich dann einen weiteren Schritt zurück. Er wollte hinunter zum Fluss schleichen. Nun wurde ihm klar, dass er die 40 Meter bis zur Kanalmauer niemals leise würde zurücklegen können, bevor die Männer in seiner Küche die Hintertür erreichten. Deshalb rannte er blindlings los, auf die Kaimauer zu.
    Die Mauer fiel steil ab, die Alzette lag etwa drei Meter unter der Mauerkante. Eine kleine steinerne Treppe führte von Kieffers Garten hinunter zu einem Anleger, an dem man ein kleines Boot vertäuen konnte. Kieffer

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