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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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hatte seines bereits vor Jahren entsorgt. Nun wünschte er sich, er hätte es nicht getan. Als er auf Höhe seiner kleinen Laube war, hörte er hinter sich das Knallen der Gartentür, die mit großer Wucht gegen die Hauswand donnerte. »Da ist er!«, rief eine Stimme.
    Kieffer warf einen Blick zurück und sah im Halbdunkel einen Mann in schwarzen Klamotten, dessen Silhouette sich in der offenen Tür abzeichnete. Er war groß und muskulös. In dem Moment, als der andere losrannte, wurde ihm klar, dass er keine Chance hatte. Als sein Häscher lossprintete, sah es aus, als habe man ihn aus einem Katapult abgefeuert. Seine durchtrainierten Beine trugen den Mann binnen der ersten Schrecksekunde, in der Kieffer wie erstarrt auf seine Verfolger schaute, bereits durch den halben Garten, zumindest schien es dem Koch so. Er machte einen Schritt nach hinten und stürzte dabei fast die Treppe hinunter. Hastig begann er, die Stufen hinabzusteigen. Hier war es stockfinster, in den einige Meter unter ihm liegenden Kanal fiel kaum Licht.
    Als Kieffer die Treppe halb hinuntergeeilt war, blickte er sich kurz um. Sein Verfolger war jetzt nur noch 10, vielleicht 15 Meter von ihm entfernt. Der zweite Mann leuchtete von hinten mit einer Taschenlampe, sodasssich die Umrisse des näherkommenden Angreifers in der Dunkelheit genau abzeichneten. An seiner rechten Hüfte erkannte Kieffer den Umriss eines Pistolenholsters. Der Mann machte einen ausladenden Schritt, der ihn weitere zwei Meter in Kieffers Richtung trug. Dann hob er plötzlich ab.
    Als ob die Schwerkraft auf einen Schlag ausgesetzt hätte, schwebte er in der Horizontalen, alle viere von sich gestreckt. Kieffer war sofort klar, was passiert sein musste, denn er hatte diese unfreiwillige Stunteinlage bereits einmal gesehen. Seine Nichte Annette hatte sie im vergangenen Sommer an fast der gleichen Stelle vollführt. Sie hatte mit seiner Schwester im Garten Frisbee gespielt, und als die Scheibe weit an ihr vorbeigeflogen war, war Annette achtlos hinterhergerannt und an einem jener Drähte hängen geblieben, die Kieffer zwischen seinen Beeten gespannt hatte. Er war ein leidenschaftlicher Gärtner und wusste bereits im Winter, welche Parzelle er im Frühling wie zu bepflanzen gedachte – und welche Teile seines Gartens er folglich auf welche Weise düngen musste. Deshalb hatte Kieffer metallene Heringe in den Lößboden gerammt und diese mit dünnen Metalldrähten verbunden. Die Drähte halfen, die unterschiedlichen Beete auseinanderzuhalten. Und nun retteten sie ihm vielleicht das Leben.
    Einen Wimpernschlag lang glaubte Kieffer, der aus vollem Sprint beschleunigte Muskelmann würde direkt über die Kaimauer getragen. Weil er das Drahtseil jedoch mit dem linken Fuß erwischt hatte, wurde sein Flug etwas zur Seite abgelenkt, und er knallte mit dem Kopf an einen der stählernen Vierkantpfeiler, die das Dach der Kiefferschen Gartenlaube trugen. Es gab ein hässlichesGeräusch, das Kieffer an das Knirschen einer Hummerschere erinnerte, die mit einer Zange aufgeknackt wird. Dann schlug der Mann dumpf auf dem Boden auf und blieb reglos liegen.
    Kieffer hatte nicht vor abzuwarten, bis er wieder aufstand. Er nahm im Laufschritt drei weitere Treppenstufen und sprang in den Fluss. Die Alzette war an dieser Stelle etwa zwei Meter tief und etwa viermal so breit. Um ihn herum segelten Pressemitteilungen und Zeitungsartikel aus dem Wyss-Dossier nieder, das er bis eben fest umklammert gehalten hatte. Der rasch dahingleitende Fluss trug Kieffer schnell mit sich fort. Das Wasser war eisig und er merkte, wie seine vollgesogenen Kleidungsstücke ihn nach unten zu ziehen begannen. Er musste kräftig mit den Armen rudern, um über Wasser zu bleiben. Kieffer glitt unter der Münsterbrücke hindurch. Links von ihm ragte der von Flutlicht-Strahlern angeleuchtete Bockfelsen empor, jene gut 40 Meter abfallende Steilwand, welche die Luxemburger Ober- von der Unterstadt trennte. Er blickte zurück, konnte jedoch keinen der beiden Männer sehen. Entweder kümmerte sich der verbleibende Verfolger um seinen ohnmächtigen Kameraden – oder er versuchte, Kieffer irgendwo den Weg abzuschneiden.
    Als er eine kleine Stromschnelle durchschwamm, ging Kieffer kurz unter und schluckte einen Mundvoll Alzettewasser. »Nondikass!«, knurrte er. Er hatte allen Grund zu fluchen, denn es würde für seinen Häscher relativ einfach sein, ihn demnächst abzufangen. Der Fluss würde ihn nämlich nur noch etwa hundert Meter in diesem

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