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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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Wehrgängen auszubauen. 40 Jahre später hatten die Franzosen diese Arbeit fortgesetzt und mithilfe von Spitzhacken und Sprengstoff kilometerlange labyrinthische Gänge und Galerien in den Bock getrieben. Später kamen die Österreicher. Auch sie hatten die Bock-Kasematten weiter ausgebaut, zum »Gibraltar des Nordens«, wie Luxemburg damals genannt wurde. Insgesamt waren die Gänge, die den Fels durchzogen, über 20 Kilometer lang. Kieffer war als Jugendlicher ein paarmal abends hier gewesen, mit verschiedenen Mädchen. Nun ärgerte er sich, dass er die Kasematten nicht öfter besucht hatte. Denn jetzt besaßer nur noch eine vage Vorstellung davon, wie die Hauptgänge durch den Fels verliefen. Vermutlich würde er sich nach wenigen Minuten so hoffnungslos verlaufen haben wie ein japanischer Tourist.
    Der Höhleneingang führte zu einer Treppe mit nur wenigen Stufen, die in einem schmalen Felsgang mit unregelmäßigen Wänden endete. Kieffer hielt sich nicht mit der Frage auf, in welche Richtung er gerade lief. Jetzt galt es zunächst, schnell einige Haken zu schlagen und Boden gutzumachen, damit sein mit einer Taschenlampe ausgerüsteter Verfolger ihn nicht mehr sehen konnte. Der Gang führte vielleicht hundert Schritte geradeaus, bis zu einer weiteren, diesmal längeren Treppe nach oben. An ihrem Kopf gelangte Kieffer auf einen Galeriegang, der in etwa 15 Metern Höhe über dem Fluss lag und ihm den Blick über Grund eröffnete. Er schaute suchend nach unten, sah aber niemanden. Der Franzose war also auch schon in den Kasematten. Deshalb beeilte Kieffer sich, einen Ausgang aus der vom Licht der Außenscheinwerfer erleuchteten Galerie zu finden. Er versuchte, so leise wie möglich zu laufen, doch es war zwecklos. Der Boden der Kasemattengänge war übersät mit Kieselsteinen, größeren Brocken sowie Coladosen und anderem Unrat, den Touristen hier hatten fallen lassen. Ständig knirschte oder klackerte irgendetwas.
    Er rannte nun, das konnte er von der Galerie aus sehen, in Richtung Nordosten, parallel zur Montée de Clausen, einer Straße, die zunächst oben auf dem Felsen entlanglief und später hinunter in Richtung seines Restaurants führte. Kieffer hatte keine Ahnung, wo er hier einen Ausgang finden würde. Am Ende der Galerie ging es nach links, weiter in den Berg hinein. Kieffer rannte, mit ausgestreckten Armen tastend, durch die Dunkelheit. Mehrfach nahm er an Kreuzungen oder Gabelungen irgendeine Abzweigung und geriet so immer tiefer in den Bock.
    Als er einen großen Raum mit mehreren Ausgängen erreichte, hielt er kurz an, um nach einer Beschilderung zu suchen. Hier war es stockfinster, nur durch einen etwa ein Meter breiten Schacht in der hohen Decke drang ein fahler Lichtschein in die ansonsten unbeleuchtete Kammer. Er fand an einer Wand etwas, was sich wie ein mit Nieten an die Felswand geschlagenes Plastikschild anfühlte. Er ließ seine Finger darübergleiten, konnte jedoch keine Erhebungen oder Vertiefungen ertasten, anhand derer er die Buchstaben auf dem Schild vielleicht hätte entziffern können. Ihm wurde bewusst, dass er vollends die Orientierung verloren hatte.
    Kieffer ging in die Hocke und lehnte sich mit dem Rücken an den Fels. Er könnte einfach hier ausharren. Bis zum Morgen waren es vielleicht fünf oder sechs Stunden, und es war durchaus denkbar, dass sein Verfolger genau wie er selbst einige Zeit durch die Kasematten stolperte, ohne ihn zu finden. Sobald es nur etwas heller war, würde Kieffer problemlos aus dem Bock hinausfinden. Während er über diese Option nachdachte, wurde er eines Lichtpunkts gewahr, der an einer der an den Raum angrenzenden Gangwände auf und ab tanzte. Theoretisch konnten das auch Teenager sein, die eine kleine Nachtwanderung durch das Bocklabyrinth machten, doch Kieffer hatte keine Lust, sein Glück weiter zu strapazieren. Er sprang auf und nahm einen der Gänge. So schnell es ihm die Dunkelheit erlaubte, lief er los, wieder mit ausgestreckten Armen. Der Gang wurde breiterund führte geradeaus durch den Berg. Er schien einen der Hauptgänge gefunden zu haben. Hinter sich hörte er nun jemanden. Deutlich vernahm er das Geräusch von Kieseln, die in alle Richtungen spritzten. »Bleib stehen«, rief der Franzose, »ich schieße!« Kieffer rannte jetzt, so schnell er konnte, und wäre fast gegen eine Wand gelaufen, als der Tunnel jäh nach links abbog. Als er im letzten Moment einen Haken schlug, hörte er einen lauten Knall und ein kreischendes Geräusch, als

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