Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)
ein Ort. Wenn die beiden tatsächlich in Broadmoor waren, sich dort mit Cholera und Tetanus angesteckt haben und dann ausgebrochen sind, dann haben wir eine interessante Situation, und man fragt sich, warum die Angelegenheit Scotland Yard nicht gemeldet worden ist. Irgendetwas wird verschwiegen!«
Holmes war hochkonzentriert. Auf Außenstehende mochte er ruhig und fast steif erscheinen, doch sein gesamter Körper war in Aktion – sehr viele, sehr kleine und sehr schnelle Bewegungen: ein sich ständig verändernder Blick, zusammengekniffene Lippen, Mundwinkel, die sich leicht nach oben oder unten zogen, Hände, die manchmal zur Faust geballt waren, manchmal entspannt auf dem Tisch lagen, seine Atmung, die erst schneller ging, dann wieder langsamer. Er vibrierte förmlich.
»Es sieht so aus, als wären beide Männer Opfer einer medizinischen Grausamkeit geworden«, sagte er. »Beide scheinen absichtlich mit Tetanus infiziert worden zu sein, was ungeheuerlich wäre. Ich denke, es ist Zeit, der Irrenanstalt in Broadmoor einen Besuch abzustatten, gemeinsam mit meinem alten Bekannten, Inspektor Lestrade.« Er lehnte sich zurück und blickte mich erwartungsvoll an.
»Wann?«
»Morgen früh.«
»Tut mir leid, aber da muss ich im Krankenhaus sein. Außerdem brauchen Sie mich dabei nicht. Aber ich bin natürlich sehr interessiert daran, wie die Sache ausgeht. Sollen wir uns morgen nach der Razzia treffen?«
»Jetzt handelt es sich also um eine Razzia«, meinte er.
»Hört sich aufregender an als nur ein Besuch.« Ich lächelte schief.
»Nun gut. Dann treffen wir uns morgen Abend um acht bei mir. Mrs Hudson wird uns ein Abendessen zubereiten.«
Kapitel Neun
unkt acht Uhr klopfte ich an das dunkle Eichenportal, und Mrs Hudson öffnete die Tür. Sie sah angespannt aus. Violinklänge zogen durchs Treppenhaus. Die furiose Wucht von Holmes’ Spielweise überraschte mich. Ich legte den Finger auf die Lippen, und Mrs Hudson nickte. Dann stieg ich die siebzehn Stufen hinauf, wobei ich mich zu erinnern versuchte, welche davon ein leises Knarren von sich gaben. Ich setzte mich auf den obersten Treppenabsatz und lehnte den Kopf an die Tür. Mit geschlossenen Augen und weit offenen Ohren lauschte ich La tempesta di mare. Es war mein Lieblingsstück von Vivaldi, und Holmes legte so viel Kraft hinein, dass mein Herz zappelte wie ein Lachs auf dem Flussufer.
Er beendete das Stück, und ich erhob mich, um zu klopfen, als er mit dem Presto begann. Meine Hand schwebte über dem Türknauf, und ich wagte es nicht, mich zu rühren. Deswegen hielt ich mich von Konzerthallen fern – ich würde auf meinem Stuhl sitzen und Rotz und Wasser heulen.
Die Violine verstummte wieder, und ich hörte Holmes grummeln: »Und, wann halten Sie es für angebracht hereinzukommen?«
Langsam senkte sich meine Hand auf den Türknauf und drehte ihn automatisch herum. Kurz bevor die Tür den Blick auf mein Gesicht freigab, wischte ich mir die Nässe von den Wangen.
»Danke, das war sehr schön«, krächzte ich und fragte mich, wie zum Teufel er meine Anwesenheit bemerkt hatte.
»Gern geschehen; obwohl es am Ende etwas angestrengt war.« Holmes’ Gesichtsausdruck war wild, und sein Haar stand etwas ab.
»So wie Sie es gespielt haben – einfach wunderbar!« Überrumpelt von meinen eigenen Worten schaute ich weg und wechselte das Thema. »Die Razzia war ein Reinfall?«
»Es gibt nichts Ungewöhnliches in Broadmoor«, sagte er, legte seine Violine auf den Schreibtisch, oder eher gesagt, auf den Berg Papiere. Dann griff er sich einen persischen Hausschuh, der sich als Tabaksbeutel entpuppte. Unter anderen Umständen hätte ich laut gelacht. Jetzt konnte ich nur finster dreinblicken. Er stopfte seine Pfeife, setzte sich und fing an zu paffen.
»Und was nun?«, fragte ich.
»Nichts. Ich habe den Fall zu den Akten gelegt«, sagte er, jedes seiner Worte von einer blauen Rauchwolke begleitet.
Ich schaute ihn einen Augenblick an und traute meinen Ohren nicht. Er wirkte weder gelangweilt noch enttäuscht, sondern wütend. »Sagen Sie mir, Mr Holmes, haben Sie Vivaldi gespielt, weil Sie nicht wussten, wie Sie mir eine Lüge auftischen sollten, damit ich sie glaube? Oder weil Sie ein Problem damit hatten, mich anzulügen? Ach, vergessen Sie Letzteres; das war eine blödsinnige Annahme.«
Langsam löste er seinen Blick von der Decke und durchbohrte damit mein Gesicht.
»Das ist eine schwere Anschuldigung!«
»Behaupten Sie, dass ich falschliege?«
»Aber
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