Teufelskuss und Engelszunge - Jones, E: Teufelskuss und Engelszunge
vollkommen nackt gewesen. Mehr denn je sehnte sie sich nach ihrem weißen Himmelskleid, dessen Gewicht am Körper sie nicht einmal spürte. Es war wolkenleicht. Aber hier auf der Erde schien absolut nichts wolkenleicht zu sein.
Sie erreichte das Ende der Treppe. Von dort führte ein kurzer Flur direkt in den Wellnessbereich, in dem sie hoffte, Ben zu finden. Allerdings stieß sie dort nur auf eine Frau mit langem roten Haar, die nichts weiter als schwarze Unterwäsche und halsbrecherisch hohe Schuhe trug. Sie lächelte und winkte Marafella zu sich heran. Ihre vollen Lippen waren rot geschminkt und ihre großen blauen Augen von dunkler Farbe umrahmt. Würde sie kein so freundliches Gesicht machen, würde sie vermutlich eher gruselig wirken, dachte sich Marafella und zuckte hilflos mit den Schultern. Sie bewegte sich nur ein paar Schritte auf die Fremde zu und blieb dann in sicherem Abstand stehen.
»Du bist die Begleiterin«, stellte die Frau fest, was Marafella mehr irritierte, als es erklärte.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, entgegnete sie daher.
»Unser süßer kleiner Teufel hat dich mitgebracht.«
So hatte Laurena Ben auch schon genannt, und das kam Marafella allmählich seltsam vor. Warum wurde er von allen hier als »Teufel« bezeichnet, wenn er doch nur ein Wanderer war? Nur, weil er in der Hölle umher wanderte?
»Jetzt verstehe ich, warum er sich so eigenartig verhält«, sagte die Fremde. »Darauf hätte ich auch gleich kommen können, wenn es nur nicht so abwegig wäre.« Sie lachte, als hätte sie einen urkomischen Witz erzählt. »Du bist ein Engel. Und ihr habt doch tatsächlich … nein«, unterbrach sie sich selbst, »darüber will ich lieber nicht so genau nachdenken.«
Sie hörte einfach nicht auf zu lachen, was Marafella wütend machte und sie gleichzeitig dazu brachte, sich über sich selbst zu ärgern. Engel wurden niemals wütend und verloren niemals die Fassung, was sie jedoch gerade im Begriff war zu tun.
»Nun, ich habe keine Zeit, Ihrem merkwürdigen Vortrag weiterhin zu lauschen«, sagte sie mit hoch erhobenem Haupt und dramatisch überheblicher Stimme. »Ich bin auf der Suche. Also, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden?«
Die Augen der Frau glänzten feucht und sie fasste sich mit beiden Händen an den Bauch, als hätte sie Schmerzen. »Nein, warte doch, Engelchen«, rief sie. »Ich weiß genau wen du suchst. Und er ist hier. Gleich in diesem Raum«, sie zeigte auf eine Tür rechts von Marafella, »da ist er und wartete auf dich. Er hat dir neue Kleidung besorgt, und ich hoffe, dir gefällt unsere Auswahl.«
Marafella war sich nicht sicher, ob sie der Frau Glauben schenken sollte. Aber was hatte sie schließlich zu verlieren? Sie nickte ihr zögernd zu und ging dann zu der Tür hinüber, drückte den Knauf hinunter und trat ein.
Beelzebub zog sich die graumelierte Stoffhose, die Marjorie ihm besorgt hatte über den Po, machte den Reißverschluss zu und stellte sich vor den Spiegel, um sich zu betrachten. Der Schnitt war nicht gerade der, den er bevorzugte. Für die Zeit auf der Erde, würde es jedoch ausreichen. Knapp fünf Stunden waren seit seinem Gespräch mit dem Engel im Spiegel vergangen. Das bedeutete, ihm bleiben noch 19 Stunden, um sich Marafella zu schnappen, die Seele zu finden und beides zurück an seinen Bestimmungsort zu schicken. Oder auch nur die Seele und Marafella ins Hexenhaus zu Lady Elaine.
Er ließ die Schultern hängen. Hatte er sich das eigentlich alles richtig überlegt? War er tatsächlich verliebt und würde er seinen süßen Engel nicht lieber für sich allein behalten und die Seele ins Jenseits befördern? Aber das war unmöglich, gestand er sich ein. Er konnte nicht mit Marafella zusammen bleiben. Einer von ihnen würde sich in die Fänge von Lady Elaine begeben müssen. Das war der Preis, um mithilfe ihrer Magie die verlorene Seele aufzuspüren. Und dann war da noch die Sache mit der goldenen Uhr aus der Krypta, nach der es Luzifer verlangte. Dafür hatte er bereits einen Ausweichplan, lächelte er in sich hinein. Alles andere würden aber vermutlich unlösbare Probleme für ihn bleiben.
Die Tür hinter ihm öffnete sich. »Ben!«, sagte die wohl süßeste Stimme, die er jemals vernommen hatte. »Da bist du ja. Und ich dachte schon, diese merkwürdige Frau hätte sich nur einen weiteren Spaß mit mir erlaubt.«
»Marjorie?«, fragte er nach.
Sie stürmte auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Leib. Er bemerkte, dass sie zitterte,
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