Teufelsleib
erwachsen, in seinen Augen aber blieb sie seine Kleine und würde es auch immer bleiben. So wie Michelle. Er erinnerte sich, wie er sich nach ihrer Geburt geschworen hatte, sie niemals aus den Augen zu lassen, ein Vorsatz, den er, wie er längst eingesehen hatte, nicht mehr einhalten konnte. Sarah würde nach dem Abitur studieren, wie es aussah in Sevilla, und dann würde er sie nur noch selten zu Gesicht bekommen. Und was mit Michelle in zwei oder drei Jahren sein würde, er wusste es nicht. Er hoffte nur, sie nicht ganz zu verlieren, dass sie nicht vollständig aus seinem Leben verschwanden.
»Wo warst du denn das ganze Wochenende?«
Brandt verzog den Mund und meinte: »Arbeiten. Ein sehr verzwickter Fall …«
»Wie hältst du das bloß aus«, sagte sie zu Elvira und schmunzelte. »Mein lieber Papa arbeitet und arbeitet und arbeitet … Hat er denn auch mal Zeit für dich?«
»Wir haben das ganze Wochenende zusammen verbracht. Aber ich finde auch, dass er sich zu viel zumutet. Er hat wieder einen Berg Akten mitgebracht …«
»Das kenn ich. Das hat er schon getan, als ich noch so klein war.« Dabei hielt sie die Hand etwa einen Meter über den Boden.
»Das stimmt doch gar nicht«, wehrte sich Brandt, doch er hatte keine Chance. Elvira setzte sich neben Sarah und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Du bist überstimmt, mein Lieber. Sarah würde niemals lügen. Und ganz ehrlich, ich hab dich eigentlich auch nur arbeitend kennengelernt. Hast du irgendwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
»Ja, hab ich. Ich gebe zu, sehr viel zu arbeiten, aber …«
»Aber, aber, aber …«
»Es ist mir doch wohl gestattet, meinen Satz zu Ende zu führen. Ich habe es nur getan, um meine Familie zu ernähren.«
»Lassen wir dieses Argument gelten?«, fragte Elvira und sah Sarah von der Seite an.
»Lassen wir es gelten? Na ja, soweit ich mich zurückerinnern kann, war er ein ganz passabler Vater und Ernährer der Familie. Ich würde sagen, wir lassen das Argument gelten. Der Angeklagte ist freigesprochen, allerdings gegen Auflagen.«
»Als da wären?«, sagte Brandt, der sich auf den Teppich vor das Bett gesetzt hatte.
»Etwas kürzertreten«, begann Elvira.
»Auf die Gesundheit achten«, fügte Sarah hinzu.
»Mehr Zeit für sich und die Familie aufbringen«, fuhr Elvira fort.
»Hat er genug Zeit für dich?«, fragte Sarah.
»Nein.«
»Ach kommt, jetzt reicht’s aber«, wehrte sich Brandt, wurde aber mit einer Handbewegung abgeblockt.
»Mehr Zeit für Elvira gehört auch dazu. Noch was?«
»Ich denke, das reicht«, sagte Elvira. »Bist du damit einverstanden, Peter Brandt?«
»Darf ich kurz überlegen?«
»Aber nur kurz.« Sarah grinste.
»Okay, einverstanden. Die Frauenpower hat gesiegt. Ich werde mir die größte Mühe geben. Diesen Fall darf ich aber noch abschließen?«
»Das heißt?«, wollte Sarah wissen.
»Da draußen läuft ein übler Killer rum, und das ist kein Spaß«, antwortete Brandt mit ernster Miene. »Mindestens vier Frauen gehen auf sein Konto, vermutlich sogar sechs. Bis jetzt. Die Presse ist noch nicht über die letzten Fälle informiert worden, du weißt, was das heißt.«
Sarah nickte. »Was ist das für ein Typ?«
»Wir wissen noch fast nichts über ihn, das ist das Schlimme. Er hinterlässt keine Spuren, egal, wo er mordet.«
»Auch hier in Offenbach?«
»Erinnerst du dich an die beiden Frauenmorde im letzten Jahr?«
»Hm.«
»Er hat wieder zugeschlagen, gleich zweimal kurz hintereinander.«
»Wieder Prostituierte?«
Brandt nickte nur.
»Musst du heute noch arbeiten?«
»Es wird wohl darauf hinauslaufen. Allerdings werde ich hier sein. Doch jetzt lass uns nicht von der Arbeit reden. Wie war dein Wochenende?«
»Ich hab Jörg endgültig in den Wind geschossen. Der hat nur noch genervt.«
»Was hat er denn getan?«, hakte Brandt nach, der ahnte, was vorgefallen sein könnte. Und wenn er recht haben sollte, würde er sehr stolz auf seine Tochter sein.
»Ich hab ihm immer wieder gesagt, er soll mit der verdammten Kifferei aufhören und … Na ja, ich hab mehr zufällig rausgekriegt, dass er nicht nur kifft, sondern auch kokst und noch anderes Zeug nimmt. Außerdem dealt er, um seinen Konsum zu finanzieren. Da hab ich ihm am Freitag gesagt, dass er sich zum Teufel scheren soll, ich habe keine Lust, meine Zeit mit einem Junkie zu verbringen.«
»Hat er auch gefixt?«
»Kann sein, interessiert mich aber auch nicht mehr. Der soll mich bloß nur noch in Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher