Teufelsleib
zweit unterwegs, was sollte da schon passieren?
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, er war kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Um 2.14 Uhr rief er völlig gedankenlos in der Alten Oper an, doch dort meldete sich verständlicherweise niemand mehr. Direkt danach versuchte er es bei der der Alten Oper nächstgelegenen Polizeistation und fragte, ob sie wüssten, wie lange die Veranstaltung gedauert habe, worauf ihm nach einigem Nachfragen bei Kollegen mitgeteilt wurde, dass um Viertel nach zehn die ersten Besucher das Gebäude verlassen hätten. Er teilte dem Polizisten seine Bedenken mit, doch der sagte nur, für so etwas gäbe es meist eine ganz simple Erklärung. »Machen Sie sich keine Sorgen, sie werden schon kommen.«
Er legte auf, doch die Angst und die Unruhe wollten nicht weichen. Er nahm eine Beruhigungstablette.
»Sag doch auch mal was«, forderte er seinen Sohn Thomas auf, der immer noch wie paralysiert auf dem Sofa saß. »Wo könnten sie sein?«
»Ich weiß es doch auch nicht. Aber du hast ja gehört, was der Polizist gesagt hat. Ich glaube auch, dass es eine simple Erklärung gibt …«
»Nein, das glaubst du nicht, das seh ich dir an. Du willst nur, dass ich mich nicht aufrege«, stieß Max Trautmann hervor. »Hör mal, die haben beide ihre Handys dabei, warum sind die ausgeschaltet? Das ist doch gar nicht ihre Art.«
»Und wenn das Konzert länger gedauert hat?«
»Thomas! Hast du nicht zugehört? Das Konzert war um kurz nach zehn zu Ende. Zur S-Bahn sind es zu Fuß fünf Minuten, dann noch mal zwanzig Minuten bis hierher … Mein Gott, sie müssten längst hier sein. Ich habe Angst, dass ihnen etwas zugestoßen ist. Kannst du das nicht verstehen? Jetzt fahren keine S-Bahnen mehr, und wenn irgendwas gewesen wäre, hätten sie doch ein Taxi genommen.«
»Aber wir können doch nichts tun. Wir müssen abwarten …«
»Sag mal,
willst
du mich nicht verstehen? Deine Mutter und deine Schwester sind seit über drei Stunden überfällig. Die letzte S-Bahn ist schon seit einer Stunde durch, und … Mein Gott«, sagte er wieder, »wo können sie bloß stecken? Da ist etwas passiert, ich habe keine andere Erklärung dafür. Thomas, sie gehen doch öfter mal ins Kino oder ins Theater, und sie haben sich noch nie so verspätet. Vor allem haben sie immer angerufen, wenn es doch später geworden ist. Du weißt …«
»Papa, ich habe keine Ahnung, was wir machen sollen. Ruf die Polizei an, vielleicht wissen die ja was. Manchmal passieren Dinge und …«
»Und was? Komm, sprich’s aus.«
»Nichts. Außerdem kann man, soweit ich weiß, eine Vermisstenmeldung bei Erwachsenen erst nach vierundzwanzig Stunden aufgeben …«
Trautmann nahm seine Brille ab und drehte sie am Bügel zwischen den Fingern. »Soll ich dir sagen, wovor ich am meisten Angst habe? Dass dieser Wahnsinnige, der auch Frau Maurer und Frau Zeidler umgebracht hat, dass dieser Wahnsinnige … Ich will und mag diesen Gedanken nicht denken, aber er ist da.«
Thomas schluckte schwer und stimmte insgeheim seinem Vater zu. In ihm waren die gleichen Ängste.
Um 2.22 Uhr hatte Trautmann gesagt: »Ich fahre jetzt zur Polizei und gebe eine Vermisstenmeldung auf. Und wenn sie sich weigern, werde ich von den Morden erzählen und dass wir wahnsinnige Angst haben. Die müssen etwas unternehmen.«
»Wollen wir noch ein Gebet sprechen?«, fragte Thomas vorsichtig, als sein Vater bereits im Gehen war.
»Nein, ich bin zu aufgeregt. Bete für mich mit. Und bleib immer in der Nähe des Telefons«, sagte er, zog sich einen warmen Mantel über, nahm die Schlüssel vom Brett und verließ das Haus.
Trautmann fuhr zum Polizeirevier in der Mathildenstraße. Eine noch recht junge Beamtin hörte sich geduldig an, was er zu sagen hatte, und rief einen Kollegen zu Hilfe.
»Was sagen Sie? Sie sind Mitglied der Andreas-Gemeinde? Und Sie sind im Kirchenvorstand, richtig?«
»Ja«, stieß Trautmann nervös hervor. »Glauben Sie auch, dass ihnen etwas zugestoßen ist?« Die Angst stand ihm mit großen Lettern auf der Stirn geschrieben.
»Herr Trautmann, ich glaube noch überhaupt nichts, denn wir erleben hier die seltsamsten Dinge. Kommen Sie, ich fertige ein Protokoll an, meine Kollegin verständigt derweil den KDD . Die werden sich um alles Weitere kümmern.«
Trautmann hatte Mühe, ruhig zu sitzen, er zitterte, obwohl es im Revier warm war, ein eisiger Strom zog ein ums andere Mal durch seinen Körper.
Fahrig beantwortete er alle
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