Teufelsleib
zweites Zuhause. Tu’s mir zuliebe«, bat er sie im Treppenhaus leise.
»Ich hab dir schon mal gesagt, dass wir uns endlich entscheiden sollten, ob wir zusammenleben oder weiter zweigleisig fahren wollen. Irgendwie bin ich zunehmend unzufrieden mit der jetzigen Situation, das muss ich mal so offen sagen.«
»Ich weiß, aber können wir das woanders diskutieren und nicht hier im Treppenhaus? Ich verspreche dir, sowie der Fall abgeschlossen ist, machen wir Nägel mit Köpfen. Und du weißt, ich pflege meine Versprechen zu halten.«
»Ja, ich will dich ja auch nicht nerven, es ist nur, dieses dauernde Hin und Her halt ich nicht mehr lange aus. Und jetzt bin ich still«, sagte sie mit dem typischen Elvira-Klein-Schmollmund.
»Wir finden eine Lösung«, sagte Brandt und schloss auf. Die Wohnung war hell erleuchtet, aus Sarahs Zimmer kam laute Musik, Michelle saß vor dem Fernseher und telefonierte dabei.
Brandt ließ die Unterlagen auf den Tisch fallen und sagte zu Elvira: »Die vermissen mich gar nicht mehr. Die könnten hier auch alleine leben. Meine Töchter.«
»Könnten sie nicht, sie brauchen ihren Papa immer noch. Hi, Michelle.«
»Warte mal kurz«, sagte Michelle zu der Person, mit der sie telefonierte, drückte die Stummtaste und sah ihren Vater und Elvira beinahe strafend an. »Wo kommt ihr denn jetzt her? Sarah und ich sind schon seit heute Morgen zu Hause und …«
»Ich hab dich auch lieb«, sagte Brandt und gab Michelle einen Kuss, was sie gleich versöhnlicher stimmte. »Und was heißt seit heute Morgen? Seit acht, seit neun oder vielleicht doch erst seit eins oder zwei?«, fragte er und zwinkerte ihr zu.
»Eins. Darf ich jetzt weitertelefonieren?«
»Habt ihr was gegessen?«
»Hast du vielleicht mal in den Kühlschrank geguckt?«, antwortete Michelle grinsend. »Da hungere ich lieber.«
»Wieso, ist doch alles da, Wurst, Käse …«
»Ja, aber hast du mal auf das Haltbarkeitsdatum geschaut? Das meiste davon ist für die Tonne. Na ja, man kann eben nicht Vater und Bulle gleichzeitig sein.«
»So hab ich mir eine Begrüßung immer vorgestellt«, sagte er ebenfalls grinsend und setzte sich auf die Sofakante. »Dann bestellen wir uns heute Abend eben mal wieder was. Ist doch ganz einfach.«
»Meinetwegen. So, darf ich jetzt endlich weitertelefonieren?«
»Klar, Elvira und ich kommen schon zurecht. Aber würde es dir etwas ausmachen, in deinem Zimmer zu telefonieren?«
»Kein Problem.« Michelle sprang auf und sagte im Gehen: »Ich nehme Tagliatelle mit Pesto. Und dazu einen gemischten Salat.«
»Für wann soll ich bestellen?«
»Sieben, halb acht.« Sie winkte und kickte die Tür ihres Zimmers mit der Ferse zu.
»Töchter«, stöhnte Brandt und nahm Elvira in den Arm. »Warst du auch so?«
»Hast du irgendwas an Michelle auszusetzen? Sie ist eine durchsetzungsfähige junge Dame, die genau weiß, was sie will. Finde dich damit ab, dass sie erwachsen wird.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Keine Ahnung, frag meine Eltern.«
»Ha, ha. Das hättest du wohl gern. Komm, wir sagen mal kurz Sarah hallo.«
Brandt klopfte an die Tür, doch die Musik war offenbar zu laut, als dass Sarah es hörte. Er klopfte noch etwas kräftiger, die Musik wurde leiser gestellt, von drinnen kam ein »Herein«.
Sarah trug den weißen Hausanzug, den sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte, und lag auf dem Bett, die Fernbedienung der Musikanlage in der Hand. Gleichzeitig lief der Fernseher, und auf Sarahs Bauch lag ein aufgeschlagenes Buch.
»Hi«, sagte Brandt und trat näher. »Wie geht’s?«
»Gut. Bin nur ’n bisschen am Chillen.«
»Wie man bei dem Krach chillen kann, wird mir wohl ewig ein Rätsel bleiben.«
»Tja, das ist der Unterschied zwischen Jung und Alt«, erwiderte sie trocken.
Sarah legte das Buch zur Seite und setzte sich in den Schneidersitz. Brandt betrachtete sie und fragte sich nicht zum ersten Mal, womit er solch hübsche Töchter verdient hatte. Sarah und Michelle, seine Perlen, das Kostbarste für ihn, seit sie auf der Welt waren. Und noch immer war er ziemlich sicher, sie würden keinen Blödsinn machen, auch wenn sie oft ein ganzes Wochenende unterwegs waren. Denn der Kontakt zu ihm riss nie ab. Doch Sarah war nun achtzehn und Michelle sechzehn, und er merkte, wie die Zeit eine andere, eine schnellere Dimension angenommen hatte und ihm wie Sand durch die Finger rann. Er würde seine schützende Hand nicht mehr lange über sie halten können. Sarah war
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