Teufelsleib
lebte seinen Traum.
Yvonne mochte diesen Mann mehr als alle anderen, weil er nicht nur kultiviert, sondern auch grundehrlich war und seine Verletzlichkeit nicht verbarg. Sie kannte niemanden, mit dem sie sich so gut verstand. Sie konnten schweigend vor dem Fernseher sitzen, sie konnten sich auf hohem Niveau unterhalten, sie konnten miteinander lachen und die zärtlichsten Stunden verbringen.
Am Wochenende würden sie wieder zusammen sein. Die Tage mit ihm waren stets die entspanntesten, denn er forderte nie, sondern gab. Er genoss es, sie glücklich zu machen, er freute sich wie ein kleines Kind, wenn er ihr ein Geschenk mitbrachte. Sie wusste schon lange, dass er sich in sie verliebt hatte, er hatte es auch des Öfteren angedeutet, es jedoch bei den Andeutungen belassen, weil Yvonne darauf sehr reserviert reagierte. Noch deutlicher zu werden, wagte er nicht, dazu war er zu gehemmt und schüchtern. Ganz anders als in seinem Beruf. Und doch konnte sie nicht verhehlen, viel für ihn zu empfinden.
Und obwohl er schon oft mit dem Gedanken gespielt hatte, sein Leben zu ändern, sich aus dem Bankwesen zurückzuziehen, einen Teil seines Vermögens ins Ausland zu schaffen und auf Nimmerwiedersehen irgendwo unterzutauchen, war es ihm bis heute nicht gelungen, die Schwelle zur persönlichen Freiheit zu überschreiten. Er sagte, er fände nicht die Kraft, einen Neubeginn allein durchzustehen. Dabei hatte er Yvonne angesehen, als hoffte er, sie würde die unausgesprochene Frage beantworten, ob sie mit ihm kommen und ihr Leben an seiner Seite verbringen wolle. Sie hatte ihm keine Antwort gegeben, denn sie wollte es nicht, auch wenn es verlockend war, in überschäumendem Luxus zu leben, verwöhnt zu werden und … Nein, er war fast fünfundzwanzig Jahre älter, und wenn er auch trotz seines Alters noch gutaussehend und vor allem vielseitig interessiert war, so konnte sie sich ein Leben mit einem Mann, der ihr Vater hätte sein können, nicht vorstellen. Noch nicht. Sie hatte ihn gern, vielleicht liebte sie ihn sogar, aber sie war sich nicht sicher. Möglicherweise kam der Tag, an dem sie doch mit ihm fortging. Sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft, sie genoss es, wenn er sie zärtlich in den Arm nahm, wenn sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen konnte, wenn er ihr jeden Wunsch von den Augen ablas – vor allem aber liebte sie sein Einfühlungsvermögen und seine Sensibilität.
Er war der Einzige, der in
diese
Wohnung kommen durfte, mit anderen Kunden traf sie sich in einem der zahlreichen Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels im Rhein-Main-Gebiet. Darüber hinaus gab es nicht wenige, die nur eine kluge, eloquente und attraktive Begleitung für den Abend wünschten, meist Geschäftsreisende, denen der Aufenthalt in Gesellschaft eines Fernsehers und der Minibar in einem Luxushotel zu langweilig war. Dann ging sie mit ihrem Kunden in ein gutes Restaurant, ins Theater oder ins Kino, ganz gleich, was auch gewünscht wurde, sie erfüllte jeden Wunsch, außer dieser überschritt Yvonnes Verständnis von Perversion. Und jemand konnte noch so viel Geld bieten, ohne Kondom gab es keinen Sex, von einer Ausnahme abgesehen.
Manche Kunden wiederum empfing sie in einem extra dafür angemieteten, ebenfalls recht luxuriösen Apartment in einem Offenbacher Mehrfamilienhaus, in dem sie fast anonym ihrer Tätigkeit nachging. Es gab nur eine Person in dem Haus, zu der Yvonne näheren Kontakt hatte. Auch diese Frau arbeitete hier nur und war wie sie verheiratet.
Der Mann, mit dem Yvonne heute verabredet war, hatte keinen besonderen Wunsch geäußert, er wolle nur den Abend mit einer netten und hübschen Frau verbringen. Sonst nichts. Essen gehen, danach vielleicht in eine Bar oder eine Spätvorstellung im Kino besuchen. Nicht selten jedoch verwarf ein Kunde seine Pläne und wollte den Abend ganz anders gestalten. Und es war Yvonnes Aufgabe, darauf einzugehen. Flexibilität und Spontaneität waren unerlässliche Eigenschaften in ihrem Beruf, vorausgesetzt, die Bezahlung stimmte.
Sie würde den Mann heute zum ersten Mal treffen. Er hatte sich nach Yvonnes Aussehen erkundigt und schien mit der Beschreibung zufrieden zu sein, vor allem, nachdem sie ihm gestern ein Foto von sich auf sein Handy geschickt hatte. Daraufhin war ein Treffen für 19.30 Uhr am Eingang eines Luxushotels in Gravenbruch vereinbart worden.
Sie trug schwarze Spitzendessous von La Perla, schwarze, halterlose Seidenstrümpfe, elegante Highheels, auf die die meisten ihrer
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