Teufelsleib
gefallen, das gebe ich ja zu. Aber mehr war da nicht.«
»Wie war Ihre Kindheit? Hatten Sie ein gutes Elternhaus?«, wechselte Brandt unvermittelt das Thema.
»Was hat meine Kindheit mit dieser ganzen Sache zu tun?«, fragte Neuendorf und rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
»Möchten Sie diese Frage nicht beantworten? Müssen Sie nicht, wir finden sowieso alles raus. Gerade eben wird Ihr Haus auf den Kopf gestellt, Ihr Auto ist vielleicht schon in der Kriminaltechnik. Und gnade Ihnen Gott, die finden auch nur eine Faser von Michaela Preusse. Wissen Sie, dass eine einzige Faser schon ausreichen würde, Sie vor Gericht zu bringen? Und nun sagen Sie nicht, Sie hätten Frau Preusse gekannt, Sie wären einer ihrer Kunden gewesen. Aber ich schweife ab, wir waren bei Ihrer Kindheit stehengeblieben. Wie war sie? Oder sollen wir selber ein bisschen buddeln?«
»Ich hatte keine berauschende Kindheit, aber es gibt viele Kinder, denen es schlechter ergeht oder erging«, antwortete Neuendorf und lächelte verkniffen.
»Kann ich Ihren Worten entnehmen, dass Sie eine beschissene Kindheit hatten? Woran lag es? An Ihrem Vater oder an Ihrer Mutter?«
In Neuendorfs Augen war auf einmal ein seltsames Feuer. Brandt ahnte, dass er auf dem richtigen Weg war.
»Ich kannte meinen Vater kaum, und meine Mutter war eine Säuferin«, antwortete er mit einem verächtlichen Zug um den Mund. »Aber was soll’s, das ist Vergangenheit. Mit sieben kam ich ins Waisenhaus, wo ich bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr blieb. Zufrieden?«
»Warum kamen Sie ins Waisenhaus? Ist Ihre Mutter gestorben, oder gab es einen anderen Grund?«
»Mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht, und meine Mutter war rund um die Uhr besoffen. Das Jugendamt hat mich ihr weggenommen.«
»Was war das für ein Waisenhaus?«
»Ein katholisches.«
»Und wie war es dort? Haben Sie sich wohl gefühlt?«, fragte Brandt. Er ging im Raum auf und ab, eine Hand in der Hosentasche, mit der andern machte er hin und wieder Gesten.
»Es war okay, sonst wäre ich nicht elf Jahre dort geblieben.«
»Es blieb Ihnen wohl keine andere Wahl. Und zum Abhauen sind Sie nicht der Typ. Sie sind nicht der Rumtreiber, der sich mit Klauen über Wasser hält und unter Brücken schläft und irgendwann zum Alki oder Junkie wird. Nein, so sind Sie nicht, Sie haben andere Gene im Blut. Aber ich schweife schon wieder ab. Wie heißt das Heim?«
»Zur heiligen Claudine.«
»Und wo befindet sich dieses Heim?«
»In der Nähe von Worms.«
»Ihnen ist klar, dass wir sämtliche Informationen über Sie einholen werden, die wir bekommen können – und zwar von Ihrer Geburt bis heute. Und das werden sehr, sehr viele Informationen sein.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, antwortete Neuendorf scheinbar gelangweilt und lehnte sich zurück. Er versuchte, cool und gelassen zu wirken, doch Brandt entging nicht seine ungeheure Anspannung.
»Was bedeuten Ihnen die Olive, der Olivenzweig und die weiße Taube?«
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Doch, ich denke, Sie wissen das sehr wohl.« Brandt deutete auf die Fotos, die noch immer ausgebreitet auf dem Tisch lagen, und wurde im Ton etwas schärfer, wenn auch längst nicht so, wie er es bei anderen Verhören in der Vergangenheit gehalten hatte: »Warum haben Sie diese Frauen umgebracht? Warum haben Sie bei Schubert, Maurer und Preusse die Symbole Olive, Olivenzweig und weiße Taube gewählt? Hat es einen religiösen Hintergrund, war es nur eine Ablenkung, oder wollten Sie wirklich etwas damit ausdrücken?«
»Ich weiß noch immer nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Herr Neuendorf, wir sind hier in keinem Spielzimmer, in dem Sie die Regeln bestimmen. Ich weiß, dass Sie mindestens sechs Frauen auf dem Gewissen haben … Apropos Gewissen, wie können Sie damit leben? Was war der Auslöser?«
»Jetzt beschuldigen Sie mich auf einmal doch. Ich habe mit dem Tod dieser Frauen nichts zu tun. Kann ich jetzt gehen?«
»Nein, wir sind noch lange nicht fertig, und ich bin sogar zu hundert Prozent sicher, dass Sie nie wieder in Ihr Haus zurückkehren werden. Herr Neuendorf, es ist doch kein Zufall, dass drei Frauen, die regelmäßig die Andreas-Gemeinde besucht haben, ermordet wurden. Alle drei wurden erdrosselt, Frau Schubert und Frau Maurer wurden brutal gequält, bevor sie getötet wurden. Warum haben Sie das getan? Ich habe Ihnen jetzt einen Teppich ausgelegt, auf dem Sie gehen können. Ich kann auch einen Kollegen reinholen, der
Weitere Kostenlose Bücher