Teufelsleib
Entführungen kein klassisches Schema gab.
Neuendorf zeigte keine Emotionen, sondern beantwortete ruhig und gelassen die Fragen. Er spielte nicht an seinen Fingern, pulte nicht die Haut an seinem Daumen ab, ließ nicht nervös die Augen umherschweifen – er war die Ruhe selbst. Nicht einmal ein Zucken um die Mundwinkel war auszumachen.
Du bist entweder ein perfekter Schauspieler, oder ich verdächtige dich zu unrecht, dachte Brandt. Aber ich werde herausfinden, ob du ein Frauenmörder bist, und wenn es Wochen dauert.
»Ich hätte ein paar Fragen zu Ihrer Person. Wie alt sind Sie?«
»Dreiunddreißig.«
»Nur fürs Protokoll – geboren wann genau und wo?«
»23.12.76 in Heidelberg.«
»Beruf?«
»Lehrer für Englisch und Musik am Albert-Einstein-Gymnasium in Heusenstamm.«
»Wohnhaft in Offenbach seit wann?«
»1.12.2006.«
»Und davor?«
»Darmstadt.«
»Wie lange haben Sie in Darmstadt gewohnt?«
»Seit Januar 2001. Davor habe ich in Tübingen studiert.«
»Und was haben Sie in Darmstadt beruflich gemacht?«
»Ebenfalls als Lehrer gearbeitet.«
Noch immer zeigte Neuendorf keine Reaktion, die Antworten kamen ihm klar und deutlich über die Lippen.
»Ledig, verheiratet, geschieden?«
»Ledig.«
»Gut, das war’s so weit. Sie sind gleich entlassen, ich will Ihnen nur noch … Moment, wo hab ich’s … Ah, hier. Kennen Sie diese Dame?«
Brandt zog zwei Fotos aus einer Mappe und legte sie vor Neuendorf auf den Tisch. Sie zeigten Liane Schreiber, einmal lebend,
einmal tot. Neuendorf beugte sich nach vorn und nickte.
»Ja, das ist Frau Schreiber. Sie wurde ermordet. Warum zeigen Sie mir das?«
Zum ersten Mal meinte Brandt einen winzigen Anflug von Nervosität zu erkennen.
»Sie war an derselben Schule wie Sie beschäftigt. Das ist doch korrekt?«
»Ja. Und weiter?«
»Wie gut kannten Sie sie?«
»Mein Gott, wie gut kannten wir uns? Wir waren Kollegen, nicht mehr und nicht weniger.«
»Ihr Verhältnis ging also nicht über das rein Berufliche hinaus?«
Neuendorf kniff für einen Sekundenbruchteil die Augen zusammen und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf seiner Stirn bildeten sich erste Schweißperlen. Er wird allmählich nervös, dachte Brandt. Sein vegetatives Nervensystem fängt an zu arbeiten. Und er atmet nicht mehr so ruhig.
»Es war rein beruflich. Warum?«
»Nur so.«
»Ach, kommen Sie! Sie holen mich doch nicht mitten in der Nacht aufs Präsidium und zeigen mir dann das Foto einer Toten. Wessen verdächtigen Sie mich?«
»Ich verdächtige Sie nicht, ich stelle nur Fragen, denn der Mörder von Frau Schreiber ist noch auf freiem Fuß. Und was ist mit dieser Frau?«, sagte Brandt und legte zwei Fotos von Caro Werner neben die von Liane Schreiber.
»Wer soll das sein?«, fragte Neuendorf, er zuckte mit einer Schulter, seine Nasenflügel bebten ein paarmal kurz hintereinander.
»Eine Bedienung in einem Café in Frankfurt. Sie wurde am 12. April 2007 ermordet. Ihr Name ist Caro Werner, ihr Mörder ist ebenfalls noch auf freiem Fuß.«
»Nie gesehen.«
»Und Anika Zeidler?«
Neuendorf warf nur einen kurzen Blick auf die Fotos. »Natürlich kenne ich sie, sie gehörte schließlich zur Andreas-Gemeinde. Ein tragischer Fall, der niemanden kaltgelassen hat.«
»Und natürlich kennen Sie auch Bettina Schubert«, Brandt legte Fotos vom Tatort vor Neuendorf, »und die erst vor wenigen Tagen ermordete Linda Maurer.«
»Selbstverständlich.«
»Und diese werte Dame?«, fragte Brandt und legte gleich mehrere Fotos von Michaela Preusse auf den Tisch. »Schon mal gesehen?«
»Nein, völlig unbekannt. Wer ist das?«
Neuendorf wollte spielen, doch er konnte seine Nervosität nicht länger unterdrücken. Immer wieder fasste er sich an den Hals, als würde ihm der Sweater zu eng, an die Nase, die Stirn, die Ohren.
»Niemand Besonderes, nur eine Hure aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel. Sie wurde vor knapp vierundzwanzig Stunden in der Nähe der Bahnstation Offenbach-Ost gefunden. Sie kennen sicherlich den großen Parkplatz dort.«
»Kann sein, aber …«
»Nun, Sie sind ja noch nicht so lange in Offenbach, als dass man alles kennen müsste.«
Brandt stand auf, lehnte sich gegen die Wand und fixierte Neuendorf, der ihn gar nicht mehr wahrzunehmen schien und stattdessen
die Fotos betrachtete, speziell jene vom Tatort.
»Interessant, oder?«, sagte Brandt, worauf Neuendorf aufschreckte.
»Ja und nein. Es ist schrecklich, was mit diesen Frauen passiert
Weitere Kostenlose Bücher