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Teufelsleib

Titel: Teufelsleib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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flehte sie und überlegte krampfhaft, wie sie dem Tod entrinnen konnte, der in Gestalt von Mark direkt über ihr saß, in Gestalt eines sympathischen jungen Mannes, dem sie niemals zugetraut hätte, dass er wahrscheinlich von Anfang an vorgehabt hatte, sie zu töten. Dass er vielleicht schon bei der Kontaktaufnahme gewusst hatte, dass sie sein Opfer werden würde. Unwillkürlich musste sie an die beiden Frauen denken, die im vergangenen Jahr in Offenbach ermordet worden waren und deren Täter man bisher nicht gefunden hatte. Vielleicht war ihr Mörder gerade in ihrem Apartment.
    Er ließ eine Weile verstreichen und sagte dann mit mitleidsloser Stimme: »Tut mir leid, aber diesen Wunsch oder diese winselnde Bitte kann ich dir leider nicht erfüllen, denn du warst eigentlich schon tot, als ich den Termin fix gemacht habe. Und auf das Spiel habe ich überhaupt keine Lust mehr.« Yvonne befahl sich, einen kühlen Kopf zu bewahren und alle Tricks anzuwenden, die sie kannte, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Aber sosehr sie sich auch anstrengte, ihr fiel nichts ein. Sie dachte an ihre Familie und wie gerne sie jetzt bei ihr wäre. Sie dachte an früher, die Vergangenheit zog im Zeitraffertempo an ihr vorbei. Schließlich öffnete sie die Augen und sagte sich: Ich muss ihm ins Gesicht sehen, ich muss ihm ins Gesicht sehen, ich muss ihm ins Gesicht sehen. Erst wenn wir uns in die Augen sehen, weiß ich, wie ich vorgehen kann. Ich darf noch nicht sterben, ich habe doch noch so viel zu tun.
    Während sie überlegte, ergriff er wieder das Wort: »Keine Sorge, du kommst schon nicht in die Hölle, man wird dich da oben mit offenen Armen empfangen. Und noch einmal zum besseren Verständnis: Das meiste von dem, was ich dir über mich erzählt habe, war gelogen. Na ja, vielleicht nicht das meiste, aber einiges. Sagen wir die Hälfte. Ja, die Hälfte war gelogen. Aber als unglücklich würde ich mich nicht bezeichnen, es gab zwar eine Zeit, in der ich nicht ganz glücklich war, aber das ist Vergangenheit. Und ganz besonders glücklich bin ich jetzt. Du glaubst gar nicht, was für ein geiles Gefühl es ist zu wissen, dass man Macht über Leben und Tod hat. Das ist Glück, wahres Glück. Doch das kannst du nicht wissen, weil dein Horizont nicht so weit reicht und weil du nie in der Lage wärst, jemanden zu töten. Du hast bestimmt nicht ein einziges Mal in deinem Leben ernsthaft daran gedacht, jemanden umzubringen. Hab ich recht?«
    »Nein, hab ich nicht. Darf ich mich umdrehen?«
    »Warum?«
    »Einfach so. Du hast doch sowieso die Kontrolle.«
    »Von mir aus. Aber versprich dir nichts davon. Ich bin stärker, das garantiere ich dir.«
    Vorsichtig drehte sie sich um, ihr Körper war schweißüberströmt, doch nicht mehr von der Erregung, es war kalter Angstschweiß.
    »Und jetzt?«, fragte er maliziös lächelnd, während er den Schal in der Hand hielt.
    »Lass uns reden«, sagte sie und sah ihm in die Augen.
    »Worüber? Über mich? Oder über dich? Willst du vielleicht noch Buße tun und die Beichte ablegen? Ich bin zwar kein Priester, aber ich denke, ich bin auch so befugt, dir zuzuhören und dich von deinen Sünden zu befreien …«
    »Bevor du mich tötest«, unterbrach sie ihn und versuchte, ihre Angst nicht zu zeigen, »verrate mir, warum du mich töten willst. Du kennst mich doch gar nicht …«
    »Wer sagt das? Woher willst du wissen, dass ich dich nicht schon seit einer ganzen Weile kenne? Vielleicht habe ich nur auf den geeigneten Moment gewartet, dich zu bekommen?«
    »Nein, du kennst mich nicht …« Mitten im Satz stockte sie, kniff die Augen zusammen, ihr Atem ging hastig, und mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie wusste, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte.
    »Stopp, ich war noch nicht fertig«, unterbrach er sie. »Weißt du eigentlich, dass wir uns schon oft begegnet sind? Sehr oft sogar. Nur hast du mich bestimmt nie erkannt oder bemerkt oder … Ich bin im Prinzip auch ein eher unscheinbarer Typ, und das ist auch gut so. Ich mag es nämlich nicht sonderlich, im Mittelpunkt zu stehen …«
    »Ich weiß jetzt, woher ich dich kenne. Ja, du bist der …«
    »Halt’s Maul, halt dein gottverdammtes Maul!«
    »Nein, ich dachte mir vorhin schon, dass mir dein Gesicht bekannt vorkommt, aber …«
    »Halt doch endlich dein Maul, mein Gesicht kann dir gar nicht bekannt vorkommen, weil ich normalerweise nicht so geschniegelt aussehe. Ich bin doch nur ein sogenanntes
face in the crowd,
das

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