Teufelsleib
ein Zweig?«, wollte Brandt wissen, ohne Andrea ausreden zu lassen.
»Ein Oliven- oder auch Ölzweig von einem Olivenbaum, in der Fachsprache Olea europaea genannt. Frag mich jetzt bitte nicht, was das zu bedeuten hat. Und es gibt noch mehr, was du dir ansehen solltest. Hier, eine Olive, und er hat ihr eine weiße Feder in den Mund gesteckt. Es könnte eine Taubenfeder sein. Ich habe zwar mit Religion nicht allzu viel am Hut, aber für mich hat das alles eine religiöse Bedeutung. Dazu kommt, dass er ihr ein Kreuz in den Oberkörper geritzt hat. Ich gehe davon aus, dass ihr es mit einem Psychopathen oder einem religiösen Fanatiker zu tun habt …«
»Wo ist der Unterschied zwischen einem Psycho und einem religiösen Fanatiker? Das ist doch Scheiße!«
»Apropos Scheiße. Sie hat im Todeskampf ihre Blase und den Darm entleert, was ja unschwer zu erkennen ist. Passiert meistens bei Erwürgen oder Erdrosseln. Hatten wir auch bei der Zeidler, wenn du dich an den Obduktionsbericht erinnerst. Sie hat auch ihre Blase und den Darm kurz vor dem Tod entleert. Nicht aber die Schubert. Beim Erhängen kommt’s übrigens auch vor.«
Andrea Sievers legte eine Pause ein, als erwartete sie eine Reaktion auf ihre Ausführungen, aber Brandt stand nicht der Sinn nach ausführlichen Erklärungen, was Menschen kurz vor ihrem gewaltsamen Tod alles taten. Zudem hatte er schon zu viele Tatorte gesehen. Er wusste, was alles möglich war.
»Wie lange ist sie schon tot?«, fragte er schließlich in die Stille hinein.
»Die Totenstarre ist voll ausgebildet, Leichenflecken nicht mehr wegzudrücken – rechnet man Leber- und Umgebungstemperatur dazu, komme ich auf zwölf bis vierzehn Stunden. Das bedeutet, der Tod dürfte zwischen zwei und vier Uhr heute früh eingetreten sein. Noch genauere Angaben zum Zeitpunkt des Todes nach der Obduktion. Es muss ein langer und entsetzlich qualvoller Todeskampf gewesen sein. Sie hat sich unglaublich gegen ihren Mörder gewehrt, das belegen die abgebrochenen Fingernägel, die leere Dose Pfefferspray auf dem Boden und die Blutspuren, die fast bis zur Eingangstür reichen. Die Pistole in der Schublade hat sie wohl nicht mehr zu fassen gekriegt, sonst hätte sie’s vielleicht sogar überlebt. Diese Frau hat wahnsinnig gelitten, sieh dir nur mal das zerschlagene Gesicht an. Dem ersten Eindruck nach hat er Nase, Jochbein, Augenboden und Kiefer zertrümmert, möglicherweise hat er ihr auch eine Schädelfraktur zugefügt. Aber sie hat nicht aufgegeben, sie hat im wahrsten Sinn des Wortes um ihr Leben gekämpft. Leider hat sie verloren. Armes Ding …«
»Und was war die eigentliche Todesursache?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits zu kennen meinte.
»Herz- und Kreislaufversagen«, antwortete Andrea mit einem Schmunzeln, wie er es bei ihr lange nicht gesehen hatte. »Ich benutze nur mal die Standardantwort von Ärzten. Aber Spaß beiseite, sie wurde erdrosselt. Und wenn mich angesichts der nur schwach ausgeprägten Male am Hals nicht alles täuscht, hat er es auch bei ihr – wie schon bei der Zeidler – mit einem Tuch oder Schal getan. Diese extrem lange Mordprozedur und diese Brutalität sind hochgradig sadistisch. Ich bin zwar kein Psychologe, aber nach meinem Dafürhalten hast du es mit einem Sadisten zu tun, dessen Taten religiös motiviert sind. Ich frag mich, wie beides zusammenpasst.«
»Ich habe eben mit ihrer Freundin gesprochen, die wohnt direkt gegenüber. Sie hat sie gefunden.«
»Na sauber. Den Anblick wird sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen. Da ist übrigens noch etwas, was du dir unbedingt ansehen solltest.« Andrea reichte Brandt zwei Fotos, die sie langsam aus ihrer Tasche gezogen hatte. »Interessant, was?«
Brandt stockte der Atem. »Wo hast du die her?«
»Lagen unter der Toten. Hab sie entdeckt, als ich sie umgedreht habe, um die Leichenflecken zu kontrollieren. Ziemlich eindeutig, was?«
Brandt nickte gedankenversunken, betrachtete die Fotos eingehend und sah zu Linda Maurer, als versuchte er, eine Gemeinsamkeit zwischen den Toten zu erkennen. »Er will auf sich aufmerksam machen. Fehlte nur noch, dass er ein Schreiben beigelegt hätte. Oder hat er?«
Andrea schüttelte den Kopf. »Nein. Aber das kommt noch, da bin ich ziemlich sicher. Vielleicht schon beim nächsten Mal«, entgegnete Andrea, ohne eine Miene zu verziehen.
»Es darf kein nächstes Mal geben, wir müssen ihn vorher schnappen. Er hat fünf Monate verstreichen lassen, bevor er wieder
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