Teufelsleib
alle anderen. Jetzt treibt ihr’s gleich wie die Tiere. Das ist also dein Ritter, auf den du so lange gewartet hast. Nur dass er nicht auf einem weißen Pferd angeritten kam. Und dieser Prinz ist verheiratet, liebe Marion, er hat drei Kinder und eine liebenswerte Frau. Aber du hurst mit ihm herum.
Ihm war kalt, und er wollte nur noch nach Hause. Dort trank er eine halbe Flasche Rotwein und nahm noch eine Tablette. Er hätte schreien mögen, doch er war ein Mann der Beherrschung. Sie hatten es ihm beigebracht, sie hatten es ihm eingeprügelt, bis er wimmernd und winselnd auf dem Boden gelegen hatte. Immer und immer wieder. Die Zeit in dem Waisenhaus würde er niemals vergessen. Elf unendlich lange Jahre. Und doch glaubte er weder an Gott noch an den Teufel noch an die Menschen, auch wenn er seinem Umfeld dieses vorgaukelte. Manchmal war er ein Atheist, manchmal ein Agnostiker, manchmal ein Nihilist, er war alles in einem, ein Widerspruch in sich, so wie er selbst ein einziger Widerspruch war. Mal das personifizierte Gute, dann wieder das absolut Böse. Aber das kümmerte ihn nicht. Er war dazu gemacht worden, er konnte nichts dafür.
Es bereitete ihm eine geradezu diabolische Freude, alle an der Nase herumzuführen. Allerdings gab es da noch einen anderen, gewichtigen Grund, warum er dies tat, und schon sehr bald würde er die Bombe platzen lassen. Noch war es nicht so weit, erst würde er sein anderes Spiel weiterspielen.
Er schaltete den Fernseher an und blieb bei einer Talkshow hängen. Mittendrin legte er sich hin und schlief sofort ein. Der Rotwein und die Tablette hatten die gewünschte Wirkung erzielt. Um halb drei wachte er auf, ging zur Toilette und putzte sich die Zähne. Er zog einen Schlafanzug an, rollte sich in seine Bettdecke und schlief bis neun.
Obwohl er sonst jeden Tag bis ins Detail durchplante, war er diesmal unschlüssig, was er tun würde. Es gab mit einem Mal mehrere Optionen, vielleicht würde er eine davon ziehen. Und diese hieß Marion. Er würde es sich überlegen.
Zunächst war Einkaufen angesagt, die Wohnung musste sauber gemacht und die Betten bezogen werden, auch wenn er allein darin schlief, und er hatte wieder mehrere Stunden in der Kirche zu tun. Gespräche, Proben, Vorbereitungen. Er brachte sich ein, fast mehr als jeder andere. Aber die wenigsten honorierten es. Es machte ihn wütend, wenn er nur daran dachte. Und da war wieder diese innere Unruhe. Er kam sich vor wie in einem Hamsterrad, das sich immer schneller und schneller drehte. Und da war wieder dieser Druck in seinem Kopf, der sich von dort auf den ganzen Körper ausdehnte. Wie ein Krake zog es durch ihn hindurch, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Ein Druck, den er seit Jahren kannte, den er früher auf unterschiedlichste Weise loszuwerden versucht hatte, mittlerweile hatte er die ultimative Lösung gefunden.
Ihn plagte kein schlechtes Gewissen, denn er war der festen Überzeugung, recht zu handeln.
»Das ist alles deine Schuld«, zischte er und dachte an eine bestimmte Person, die er für all sein Unglück verantwortlich machte, die ihn zu dem gemacht hatte, was er war, die ihm nie eine Chance gelassen hatte, während sie scheinbar glücklich und zufrieden in Saus und Braus lebte. Er ballte die Fäuste wieder und wieder und zwang sich zur Ruhe, doch es war vergebens.
Die Ruhe würde er erst finden, wenn er es wieder getan hatte. Wieder und wieder und wieder. Und ihm war klar, dass es so nicht ewig weitergehen konnte. Irgendwann würde er einen Fehler begehen. Aber nicht heute und auch nicht morgen. Und noch gab es nichts, was der Polizei auch nur den geringsten Hinweis auf seine Person gab. Manchmal, in besonders melancholischen Momenten, dachte er daran, dass es womöglich besser wäre, seinem Leben ein Ende zu setzen, doch dazu fand er nicht den Mut. Zu groß war die Angst vor dem Sterben und dem Tod. Er hatte panische Angst. Nur deshalb tötete er andere Menschen, Frauen, Huren, die sich in jeder Ecke herumtrieben. Und sein nächstes Opfer war schon für ihn vorbereitet worden, auch wenn es nicht wusste, dass heute oder morgen oder auch erst übermorgen sein letzter Tag sein würde. Auch er wusste noch nicht, wer dieses Opfer sein würde. Vielleicht Marion, aber das wäre zu auffällig gewesen. Sie war ein bekanntes Mitglied in der Kirche, ein gern gesehenes Gesicht. Sie zu töten hätte die Polizei vielleicht zu schnell auf seine Spur gelenkt. Nein, er würde sie leider am Leben lassen müssen, auch wenn
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