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Teufelsleib

Titel: Teufelsleib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Beachtung schenkte. Hatte er dies früher als demütigend empfunden, so sah er es mittlerweile als großen Vorteil an. Er liebte seine Rolle und würde sie noch lange spielen, so wie er viele Rollen spielte und keiner merkte, dass es nur Rollen waren und nicht sein wahres Leben. Sein wahres Leben spielte sich im Verborgenen ab, es gehörte ihm ganz allein, und er gestattete niemandem, daran teilzuhaben. Er war ein freier Mann, freier als alle Menschen, die er kannte.
    Nach dem Essen räumte er den Tisch ab, spülte den Teller, das Besteck und das Glas, trocknete es ab, legte das Besteck in den Besteckkasten der Schublade und stellte den Teller und das Glas an genau den Platz, wo sie vorher gestanden hatten. Er nahm einen Lappen und säuberte den Tisch wie nach jeder Mahlzeit und trocknete die verbliebene Feuchtigkeit mit einem Handtuch auf. Das Handtuch gab er sofort danach in die Wäsche, den Lappen warf er in den Müll. Es gab keinen Lappen und kein Handtuch, die er zweimal benutzte.
    Danach ging er ins Bad, zog sich aus und hängte die Sachen über einen stummen Diener, stellte sich unter die Dusche und ließ sich das heiße Wasser lange über den Körper laufen. Er wusch sich die Haare und lange zwischen den Beinen, als müsste er hartnäckigen Schmutz wegwaschen, doch das war nicht der Grund. Es war vielmehr ein Überbleibsel aus einer Zeit, die er am liebsten vergessen würde, die aber sein Leben für immer und ewig bestimmt hatte. Anschließend rasierte er sich, föhnte die Haare und legte Feuchtigkeitscreme auf. Nackt spülte er die Duschkabine aus, wischte sie trocken und warf das Handtuch und das Trockentuch in den Wäschekorb.
    Er zog frische Unterwäsche an, eine saubere Jeans und ein schwarzes Hemd und setzte die dunkle Hornbrille mit den getönten Gläsern auf. Alle, die ihn kannten, glaubten, dass er an einer angeborenen Lichtempfindlichkeit litt, die selbst für künstliches Licht galt. Er besah sich im Spiegel und korrigierte seinen Hemdkragen, bis er zufrieden war. Danach nahm er die Brille ab und legte sie in ein Etui, das er sorgsam verschloss.
    Er löschte das Licht im Bad, machte die Tür zu und ging langsam in einen Nebenraum, der wie ein Gästezimmer ausgestattet war und den doch niemand außer ihm je betreten hatte und auch nie betreten würde. Es war sein Heiligtum und sein Refugium. Es gab ein Bett, einen kleinen Tisch, zwei braune, nicht sehr bequeme Sessel, eine Hängeleuchte, die diffuses Licht spendete, und einen Schrank, den er von einer alten Frau geschenkt bekommen hatte, als sie sich entschloss, ins Altersheim zu gehen. Am Kopfende des Bettes befand sich ein Nachtschrank, darauf lag eine Bibel, daneben stand eine Kerze. Weder das Bett noch die Bibel waren je von jemand anderem berührt, der Schrank, dessen Schlüssel er an einer geheimen Stelle verwahrt hatte, nur von ihm geöffnet worden.
    Er steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn um. Mit beiden Händen öffnete er die Schranktüren und betätigte einen innen angebrachten Schalter. Licht ging an, kein grelles, blendendes, sondern ein sanftes, den Augen schmeichelndes Licht. Er kniete sich nieder, faltete die Hände und blickte auf das Kreuz, murmelte ein paar Worte und zündete fünf Kerzen an, die unter den Fotos von Anika Zeidler, Bettina Schubert und Linda Maurer standen, jenen Opfern, auf die er besonders stolz war. Dazu kamen noch Liane Schreiber, seine ehemalige Kollegin, und Caro Werner, eine süße Bedienung in einem netten Kaffee in der Frankfurter Innenstadt. Liane Schreiber hatte er am 21. November 2006 und Caro Werner am 12. April 2007 getötet.
    Den Schrein hatte er vor fast zwei Jahren mit eigenen Händen gefertigt und in den Schrank eingepasst. Er war genau so geworden, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Neben den fünf Fotos war noch genügend Platz für mehr. Und sollte auch das nicht mehr ausreichen, würde er einen neuen Schrein bauen oder diesen vergrößern. Noch war es nicht so weit, noch genügte er seinen Ansprüchen. Er legte den Schlüssel des Mercedes und das Handy unter das Bild von Linda Maurer und lächelte wieder.
    Zehn Minuten kniete er vor dem Schrein, bevor er sich wieder erhob, die Kerzen ausblies und wartete, bis der Rauch sich verzogen hatte und die Dochte endgültig verglüht waren, er den Lichtschalter nach unten drückte, den Schrank verschloss und den Schlüssel in dem sicheren Versteck hinterlegte.
    Er ging ins Wohnzimmer, das modern und bequem eingerichtet war, mit einem

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