Teufelsmauer
geländegängigen Maschine in zahlreichen Schlingen über ein Stoppelfeld, wobei er sich langsam wieder dem römischen Gutshof näherte.
Morgenstern hielt sich krampfhaft an der Vorderfront des ratternden Streitwagens fest. Die vier Pferde waren längst vom lässigen Trab in einen furiosen Galopp übergewechselt, und offenbar war auch den Tieren klar, dass sie dem Motorrad zu folgen hatten â anders, so mutmaÃte Morgenstern, hätte Hecht niemals den Kurs halten können. Völlig unklar war freilich, wo und wie diese verrückte halsbrecherische Fahrt enden sollte. Morgenstern dachte an das legendäre Wagenrennen im Kinoklassiker »Ben Hur«. Würde er den Kontrahenten mit der Peitsche vom Motorrad schlagen müssen? Doch mit welcher Peitsche? Das Einzige, was sie dabeihatten, waren drei dekorativ am Wagen aufgepflanzte Lanzen. Sollte er es wirklich riskieren, den Italiener mit einer Lanze vom Bike zu befördern? Und wie sollte er das schaffen, wo er doch beide Hände brauchte, um sich am Wagen festzuklammern?
Zitternd zerrte er eine der Lanzen aus ihrer Befestigung, während Hecht mit dem dicken Zügelbündel auf die vier Pferderücken einschlug und »Hü! Hü!« rief, als müsste er Kaiser Nero höchstpersönlich im Zirkus Maximus begeistern. Das Motorrad war nun allenfalls noch fünfzehn Meter von ihnen entfernt.
»Wir gehen auf gleiche Höhe«, rief Morgenstern, bei dem die Verkrampfung plötzlich dem blanken Jagdfieber gewichen war. »Und dann stoÃe ich den Speer in die Speichen vom Hinterreifen. Dann ist finito!«
Hecht nickte grimmig, das Gesicht bereits schwarz gesprenkelt von den Dreckklumpen, die sechzehn Pferdhufe vor ihm aufwirbelten.
Eben noch hatte der Motorradfahrer mit seiner Maschine erneut einen kühnen Haken geschlagen, dem nun eine längere Gerade folgen sollte, ganz nahe an der Villa Rustica und dem Lager der Legionäre vorbei. Da bäumte sich der junge Mann mit einem Mal im Motorradsitz auf, warf beide Arme in die Höhe, sank unmittelbar danach in sich zusammen und stürzte von der Maschine. Das Motorrad rollte noch einige Meter führerlos weiter, bis es ebenfalls zur Seite sank und mit brummendem Motor liegen blieb.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Hecht das Gespann zum Stehen gebracht hatte. Trotz vielfachem »Brrrr, brrr« und heftigem Ziehen an den Zügeln lieÃen sich die Pferde erst nach zweihundert Metern beruhigen. Die beiden Ermittler sprangen vom Streitwagen, Morgenstern immer noch mit dem Speer in der Hand, und rannten auf den Italiener zu.
»Bleiben Sie liegen! Keine Bewegung!«, schrie Hecht, der schon wieder die Pistole bereithielt.
Doch als sie nahe genug heran waren, sahen sie, dass dieser Mann nie mehr aufstehen würde.
»Ich glaube es einfach nicht«, stammelte Morgenstern und starrte fröstelnd auf den Italiener, dessen Gesichtszüge im Todesschmerz verkrampft waren. Tief im Oberkörper des Mannes steckte ein gewaltiger hölzerner, gefiederter Pfeil, der mit so groÃer Wucht abgeschossen worden war, dass seine eiserne Spitze ein kleines Stück auf der Rückseite herausragte â der Panzerung des Kettenhemdes zum Hohn.
Ganz langsam blickte Morgenstern zur Villa Rustica, von der sie am Ende ihrer wilden Jagd nur fünfundzwanzig Meter trennten. Peter Hecht folgte seinem Blick.
Neben ihrem gemieteten Legionärszelt stand Gundekar Russer. Und vor ihm war der Scorpio aufgebaut. Das Präzisionsferngeschütz der römischen Legionen.
Zwanzig Minuten später wimmelte es rund um die Villa von Einsatzfahrzeugen. Gundekar Russer lieà sich widerstandslos festnehmen.
»War das wirklich nötig?«, fragte Morgenstern, als er den Legionär auf den Rücksitz eines Streifenwagens schob.
»Absolut«, sagte Russer. »Die Legion macht keine Gefangenen.«
Neben dem rustikalen Bäckerofen, in dem immer noch die Glut brannte, fanden Hecht und Morgenstern in einer Stofftasche das Handy und den Geldbeutel des Pizzabäckers. Morgenstern überprüfte das Portemonnaie, während Hecht das eingeschaltete Handy unter die Lupe nahm.
»Gaetano Formazzi aus Reggio Calabria«, sagte Morgenstern und wedelte mit einem italienischen Führerschein.
Hecht drückte sich derweil durch Formazzis Handy. »Breitenhiller«, murmelte er nach einer Weile. »Da haben wir ihn ja. Handynummer und Festnetz, Kipfenberger
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