Teufelsmauer

lassen. Ihr war nicht zu helfen.« Er seufzte. »Stattdessen ist sie gegangen.«
    Morgenstern stellte sich vor, wie Russer an langen Abenden auf seine Freundin einredete, als wäre er der Wiedergänger von Sigmund Freud höchstpersönlich. Wie er sich als Traumdeuter versuchte und als Rorschach-Test-Versteher. Wenn Barbara Breitenhiller tatsächlich so eine komplizierte, vielleicht auch verkorkste Persönlichkeit gewesen war, wie Russer geschildert hatte, dann war da mit ein paar gut gemeinten Worten nichts zu machen gewesen. Dann klaffte zwischen »Gut gemeint« und »Gut gemacht« ein Abgrund. Ein Abgrund von der Dimension des Jurasteinbruchs der Vereinigten Marmorwerke Kaldorf.
    Der Zenturio löste sich von den anderen Männern, die sich zum Ausruhen auf ihre rechteckigen roten Schilde gelegt hatten. »Wir müssen weiter«, sagte er zu den Ermittlern. »Wenn Sie noch mehr wissen wollen, können Sie gerne heute am späteren Nachmittag zu uns kommen. Zum Kastell bei Burgsalach, dem Burgus. Da können Sie unser Lagerleben kennenlernen, und wenn Sie wollen, dürfen Sie auch mit uns essen.«
    Â»Was gibt es denn?«, fragte Hecht.
    Â»Das übliche Legionärsessen. Eintopf mit Speck.«
    Â»Ich denke, das lässt sich einrichten«, sagte Morgenstern. »Ich bin sowieso gerade Strohwitwer.«
    Mühsam rappelten sich die Legionäre auf, spannten sich ihre großen Schilde über den Rücken und nahmen das Pilum, den Speer, in die Hand. Auch Gundekar Russer versetzte sich in Marschbereitschaft. Seinen Helm mit dem präparierten Wolfskopf hängte er sich lässig über die Schulter, statt des Pilums trug er das Feldabzeichen der Kohorte, einen langen Speer, auf dem von oben nach unten silberne Scheiben montiert waren. Direkt unter der Spitze glänzte ein Messingschild mit dem Namen der Kohorte.
    Russer wandte sich noch einmal kurz den beiden Ermittlern zu. »Sie wissen, dass die Barbie direkt am Limes aufgewachsen ist.«
    Â»Ja und?«, fragte Morgenstern.
    Â»Das fällt mir jetzt erst auf: Sie hat fast nie das Wort Limes verwendet, wenn davon die Rede war. Für sie war das immer die Teufelsmauer. Den Begriff verwenden sonst nur noch ein paar alte Leute. Und wenn die Barbie Probleme hatte, psychische Probleme, dann hat sie immer gesagt, dass das von der Nähe zur Teufelsmauer kommt.«
    Â»Da ziehen sie hin«, sagte Hecht, als sie im Auto saßen und in der Ferne nur noch das Glitzern der Helme, Waffen und Rüstungen zu sehen war. »Und das alles ohne Waffenschein.«
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Ich meine, dass die Herren schwer bewaffnet sind. Allein dieses Geschütz, das sie dem Esel aufgebürdet haben, ist eine absolut tödliche Waffe. Ich habe das mal im Fernsehen gesehen, mit so einem Teil kannst du auf fünfzig Meter ein Brett durchschießen. Einfach so. Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Dienstpistole das schaffen würde.« Hecht kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Und diese Schwerter sind auch nicht ohne, genauso wenig wie die Lanzen.«
    Morgenstern nickte. »Du hast recht. Im Grunde ist das so etwas wie eine paramilitärische Gruppe. Lauter Männer, die gerne Uniform und Waffen tragen. Auch wenn es historische Uniformen sind und historische Waffen. Die behalten wir im Auge. Aber was tun wir mit dem angebrochenen Nachmittag?«
    Â»Wir klopfen bei diesem Römerpark auf den Busch«, schlug Hecht vor.
    Morgenstern grübelte. »Wie hieß noch mal der Geldeintreiber? Dieses Blaublut?«
    Hecht blätterte kurz in seinem Block. »Oswald von der Tann, Baron, in Ingolstadt. Ich habe Adresse und Telefonnummer da.«
    Keine zwei Minuten später hatten die Kommissare einen Termin mit dem Baron vereinbart. Man könne sich jederzeit in seinem Büro in Ingolstadt treffen. Er stehe den Herren Kommissaren in vollem Umfang zur Verfügung.
    Â»Jetzt hat der zum Abschluss doch tatsächlich ›Adieu‹ gesagt«, staunte Hecht.
    Â»Adel verpflichtet«, sagte Morgenstern.
    Das Büro der »Von der Tann Finanzoptimierung« lag in der Milchstraße, einer Parallelstraße zur Ingolstädter Fußgängerzone, im zweiten Stockwerk eines Geschäftshauses. Antike Sessel, ein dickes dunkelbraun glänzendes Ledersofa, ein mächtiger Schreibtisch aus dunklem, auffällig gemasertem Holz, vielleicht Nussbaum, beherrschten den Raum. In der Luft hing der