Teufelsmond
durch das Dorf, von einem alten Mann gezogen, der mit einer Glocke bimmelte und vor dem Glenhaus anhielt. Jetzt hörte sie ihn rufen: «Töpfe, gute Töpfe, Löffel aus Holz und Horn, Eisenpfannen, Schalen, kommt, Leute, kauft.»
Erwartungsvoll sah er zu den Fenstern des Glenhauses hinauf, doch die waren vernagelt, nichts regte sich.
Karla verließ ihre Kammer, eilte die Stiege hinab.
«Na, Mädchen, schickt dich deine Herrin nach einem Topf?», fragte der Händler.
Karla schüttelte den Kopf. «Wir brauchen nichts, glaube ich. Hören wollte ich nur, was sich in der Welt so tut. Woher kommt Ihr?»
Der Mann mit dem schwarzen Mantel, den Schläfenlocken und dem dichten Bart lächelte. «Von Neukirchen komme ich. Davor war ich in Ziegenhain beim Scherzmarkt.»
«Ein Markt, auf dem gescherzt wird?» Karla lächelte. «Schade, dass ich ihn nicht gesehen habe.»
«Nein, nein, Mädele. Dort wird nicht gescherzt. Kennst du das Wort ‹scherzen› nicht?»
«Doch, doch. Spaß machen heißt es.»
«Nun, hier in der Gegend bedeutet es noch etwas anderes. Vom Scherzen spricht man, wenn eine Magd oder ein Knecht sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Und der Scherzmarkt in Ziegenhain ist ein Markt, auf dem die Dienstboten, die zu Mariä Lichtmess die Herrschaft wechseln, all die Dinge kaufen können, die sie benötigen. Einfache Stoffe, grobe Schaffelle, schlichte Truhen, Leinentücher. Du selbst willst wohl nicht wechseln, oder?»
Karla schüttelte den Kopf. «Nein, das will ich nicht. Außerdem bin ich keine Magd.»
«Stimmt, sonst hätte ich dich sicher auf meinem Weg getroffen. Halb Alwerode ist unterwegs. Die Trudl und die Lori sind schon in Neukirchen. Sie müssen in der Nacht aufgebrochen sein.» Er beugte sich zu ihr, nachdem er sich nach allen Seiten umgeschaut hatte. «Sag, Mädchen, ist es wahr, was man sich erzählt?»
«Was denn?»
«Dass der Teufel umgeht in euerm Dorf. Selbst in Ziegenhain reden die Leute über nichts anderes. Der Landgraf weiß auch davon. Als ich von dort loszog, erwog er, jemanden hierherzuschicken. Einen Richter, wie ich hörte, und zwei Büttel zu seiner Begleitung.»
Karla sperrte den Mund auf. «Ich weiß von nichts», sagte sie dann.
Im selben Augenblick knarrte das Hoftor des Hettrichanwesens. Bernadette trat heraus, auf dem Rücken ein pralles Bündel, an der Hand ihren Jungen.
«Gott zum Gruße», rief Karla, und der Händler winkte mit der Hand.
«Wohin des Weges mit dem prallen Bündel?»
«Pscht!» Die Bernadette machte Karla ein Zeichen, leise zu sein. «Du musst ja nicht gleich das ganze Dorf aufwecken. Zu meiner Schwester gehe ich. Rüber, nach Christerode.»
«Oh», erwiderte Karla. «Ist sie krank?»
Bernadette nickte, dann schüttelte sie den Kopf. «Krank. Wer weiß schon noch, was genau das ist. Der Hettrich liegt zu Bette, nachdem er sich die Seele aus dem Leib gekotzt hat. Und unsere Magd, die Lori, ist auf und davon.»
Noch ehe Karla weitere Fragen stellen konnte, packte Bernadette den Jungen bei der Hand und zog ihn in Richtung Heidelberg davon.
Der Händler blickte derweil das Glenhaus an. «Hier ist wohl auch niemand mehr?», fragte er.
Karla zuckte mit den Achseln. «Gestern waren noch alle da. Was heute ist, das weiß ich nicht.»
Der Händler betrachtete nachdenklich seine Waren. «Ich werde auch weiterziehen. Eigentlich wollte ich hier übernachten. Beim Krügerwirt schmeckt das Bier besonders gut, aber heute, nein, ich weiß nicht. Es ist besser, ich ziehe weiter.»
Er hob die Hand zum Gruße, packte die Deichsel seines Karrens, und schon bald war das Rumpeln nicht mehr zu hören.
«Ist er weg?» Plötzlich stand Else neben Karla.
«Ja. Aber nicht nur er. Auch Bernadette hat das Dorf gerade verlassen, und die Mägde sind ebenfalls auf und davon.»
Else zuckte mit den Achseln. «Reisende soll man nicht aufhalten.»
«Hast du keine Angst mehr?», fragte Karla verwundert.
Else schüttelte den Kopf, aber ihr Blick strafte sie Lügen. Sie hob den Finger und deutete damit auf Karlas Brust. «Wovor soll ich Angst haben, frage ich dich. Die Zeit der Gerechten ist gekommen. Und jeder, der sich nicht dazuzählen kann, der geht. Auf die eine oder andere Art und Weise.»
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Einunddreißigstes Kapitel
Die Totenglocke klang. Hoch schwang sich ihr Ton über das Dorf, kroch unter die zugenagelten Fenster, schlich durch die Türritzen und hinein in die zugehaltenen Ohren.
«Wer ist gestorben?» Karla schnitt in der Küche
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