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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ich weiß. Und Ihr? Ihr wisst gar nichts. Wer seid Ihr überhaupt?»
    Das Weiblein musterte Pater Fürchtegott und Karla misstrauisch.
    Noch ehe Pater Fürchtegott den Mund aufmachen konnte, antwortete Karla schon für ihn: «Der Exorzist des Erzbischofs von Mainz ist er. Und ich bin seine Gehilfin.» Dann packte sie den Pater beim Arm und zog ihn weiter.
    «Was hast du da eben gesagt? Als was hast du dich ausgegeben?»
    «Als Eure Gehilfin. Das ist nur recht und billig. Schließlich braucht Ihr mich.»
    Auf die Schnelle fiel Pater Fürchtegott keine Erwiderung ein, so runzelte er nur nachdenklich die Stirn und wechselte das Thema. «Sag mir, Karla, wie wird man zu einem Außenseiter?»
    Karla sah den Pater prüfend an. «Was meint Ihr mit Außenseiter?»
    «Einen Menschen oder eine Familie, die nicht richtig dazugehören. Die außerhalb des Dorfes stehen.»
    «Meint Ihr die, die in der Schenke keinen festen Platz haben? Die, die in der Kirche in der letzten Bank sitzen? Mit denen beim Maitanz niemand tanzt?»
    «Genau die. Was ist an ihnen, dass die anderen sie nicht mögen?»
    «Sie sind anders.»
    «Anders? Das ist alles?»
    Karla nickte ernsthaft. «Ja, das ist alles. Manchmal gehören sie nicht dazu, weil ihre Familien nicht schon seit Jahrhunderten am selben Fleck ansässig waren. Manchmal liegt es daran, dass sie etwas können, das andere nicht können. Heilen zum Beispiel. Oder Räuchern. Oder Predigen. Auch Ihr seid ein Außenseiter. Ist Euch das noch nicht aufgefallen? Die Bauern in den Dörfern hier reden nicht frei von der Leber weg mit Euch. Weil Ihr kein Bauer seid, sondern ein Geistlicher. Einer, der Dinge kann, von denen sie keine Ahnung haben. Ihr könnt Lesen und Schreiben, und Ihr könnt mit Gott reden. Das unterscheidet Euch von ihnen, und deshalb steht Ihr außen.»
    «Das klingt einleuchtend.» Pater Fürchtegott kraulte sich den Bart, ohne beim Gehen innezuhalten. Sie waren jetzt fast am Handelsweg Köln–Leipzig angelangt, doch die Straße war leer wie die Börse eines Bettlers. Nicht ein Fuhrwerk, kein Reiter, kein Karren, nicht einmal ein beladener Esel waren zu sehen.
    «Und gab es bei dir im Weiler auch Außenseiter?»
    Karla überlegte. «Da war die Hebamme. Die wohnte in der letzten Kate des Dorfes, abseits von den anderen. Von ihr erzählte man sich, dass sie aus den toten Neugeborenen Medizin macht. Es hieß, aus dem Blut koche sie Marmelade, die man den Siechen einflößen müsse, damit sie wieder zu Kräften kommen. Und das Herz eines Totgeborenen soll sie getrocknet und zu Pulver zerstoßen haben. Die meisten Leute hatten Angst vor der alten Grit. Grit, so hieß sie nämlich.»
    «Und du? Hattest du auch Angst vor ihr?»
    «Ich? Nein. Gar nicht. Ich habe sie sogar recht gerngehabt. Sie hat nicht mit mir gesprochen wie mit einem Kind. Sie hat mir alles erklärt, was ich wissen wollte. Und mit jeder Frage konnte ich zu ihr kommen. Wusste sie einmal keine Antwort, so hat sie auch das zugegeben und nicht gesagt, ich wäre zu klein oder würde nichts verstehen. Ich bin sicher, die Geschichten über ihre Totenmedizin waren Lügen. Sie war einfach anders, weil sie nicht an denselben Gott geglaubt hat.»
    «Denselben Gott? Was meinst du damit?»
    Karla senkte die Stimme, obwohl die beiden ganz allein auf weiter Flur waren. «Sie hat statt Weihnachten das Julfest gefeiert. Und zu Johannis hat sie ein Feuer angezündet und ist über den Rauch gesprungen. Sie hatte viele Götter. Wotan, Thor, Odin und Hel. Einmal ist unsere Nachbarin, die Minna, zu ihr gegangen. Grit sollte für sie in die Zukunft schauen. Minna wollte wissen, ob der Mann, den sie eines Tages heiraten würde, auch schön wäre. Die Grit ist mit der Minna spazieren gegangen.» Karla hob den Finger. «Auf dem Friedhof sind sie spaziert. Es hatte gerade geregnet. Unter der alten Eibe sind sie stehen geblieben, und die Grit hat der Minna befohlen, die Augen zu schließen und den Eibenduft tief einzuatmen.»
    «Und dann?» Pater Fürchtegott hatte über die Wirkung der Eiben in seinen Büchern gelesen. Aber er hatte noch nie jemanden getroffen, der sie am eigenen Leib erfahren hatte.
    Karla lachte. «Gnome sind ihr erschienen, der Minna. Winzige Männer mit großen Buckeln und Hakennasen, die sie küssen wollten. Vor lauter Angst hat sie mitten auf den Friedhof gekotzt.» Jetzt lachte auch Pater Fürchtegott, aber Karla fragte: «Sind Eiben Zauberbäume? Wie kam es, dass die Minna die Kobolde gesehen hat?»
    Pater Fürchtegott

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