Teufelsmond
erwiderte: «In jeder Pflanze stecken Zauberkräfte. Mit der Kamille kann man Wunden heilen, wie du selbst weißt, die Melisse ist gut für den Bauch. Es kommt immer auf die Dosierung an. Und in der Eibe stecken Stoffe, die den Menschen Bilder vorgaukeln. Bilder, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Merke dir, Karla: Jede Pflanze ist gut und hilfreich. Und ebenso giftig. Es kommt auf die richtige Dosis an.»
«Ihr sprecht wie die alte Grit», stellte Karla zufrieden fest. «Also stimmt alles, was sie mir erzählt hat.»
«Warum sollte es nicht stimmen?», erwiderte Pater Fürchtegott. «Die Götter der Grit sind die alten germanischen Gottheiten. Alle Menschen hier haben daran geglaubt, bevor unser Herr Jesus am Kreuz gestorben ist. Und in den wilden Berggebieten glauben viele Leute noch heute an Wotan und Thor.»
Inzwischen hatten sie einen schmalen Waldweg erreicht, der auf eine Anhöhe führte. Dahinter erstreckte sich ein enges Tal, in dessen Sohle ein Bach rauschte. Direkt daran stand eine Mühle: die Michelsmühle. Das große Rad drehte sich knarrend und ließ das Wasser geräuschvoll aus den Schaufeln rinnen.
Links neben der Mühle war eine Weide abgezäunt, auf der trotz des Wetters ein paar Schafe im dichten Wollkleid gemächlich Gras rupften. Daneben stand ein zweistöckiges Gebäude mit einem Giebel, das Wohnhaus wohl. In einiger Entfernung davon schmiegten sich zwei kleinere Häuser an den Hang, und auf der anderen Seite des Wohnhauses befanden sich eine große Scheune und Stallungen.
Karla übersah die Michelsmühle mit einem Blick. «Es muss schön sein, hier zu leben. Der Bach, der Wald, die Wiesen.»
Pater Fürchtegott duckte sich in seine Kutte. «Hier ist es genauso unwirtlich wie anderswo in dieser Gegend. Komm, lass uns zum Haus gehen.» Mit langen Schritten eilte er auf das Haupthaus zu und betätigte die Glocke.
Es wurde ihnen von einem jungen Weib geöffnet, so schnell, als hätte es hinter der Tür gestanden. Die junge Frau war groß und schlank und trug einen Säugling auf dem Arm. In ihrem Gesicht dominierten die schwarzen Augen. Unergründlich, dachte Karla. Ihre Augen sind wie Brunnenlöcher. Doch noch ehe Karla weiter im Gesicht des jungen Weibes lesen konnte, hatte dieses schon den Blick gesenkt und nestelte an ihrem blütenweißen Brusttuch herum. Sie trug ein rotes Kleid, dunkelrot. Die Farbe von Rüben. Und auch darüber wunderte sich Karla. Niemals wäre jemand in ihrem Weiler auf den Gedanken gekommen, etwas Rotes zu tragen. Oder sogar damit in die Kirche zu gehen. Rot – die Farbe der Könige, die Farbe der Sünde. Aber die junge Frau schien sich daran nicht zu stören. Sie schüttelte das lange glatte Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte. Offenes Haar, dachte Karla. Und einen Säugling auf der Hüfte. Müsste sie nicht eine Haube tragen wie die anderen verheirateten Frauen auch?
«Seid Ihr der Pater?», fragte die junge Frau. Sie hatte eine angenehme warme Stimme, die Karla sofort für sie einnahm.
Fürchtegott nickte.
«Ich soll Euch danken von meiner Mutter und den Brüdern, von allen, die hier leben. Zu uns kommt sonst niemand. Nicht einmal der Dippel. Wartet, ich bringe Euch zum Zimmer des Vaters. Mein Name ist übrigens Sofie.»
Sofie. Karla fiel wieder ein, was das alte Weiblein am Backhaus erzählt hatte. Sofie, die Michelsmüllerin mit dem Kind, von dem keiner wusste, wer der Vater war.
Sie ging voraus, stieg eine schmale Stiege hinauf, und Pater Fürchtegott und Karla folgten ihr.
Das Haus war blitzblank und roch angenehm nach Kräutersträußen, die überall im Haus aufgehängt worden waren.
«Bindet Ihr sie selbst?», fragte Karla und deutete auf einen der Sträuße.
Die junge Frau nickte. Ihr Gesicht verriet Besorgnis. «Ja. Ich hatte auch einen Strauß aus Wetterkräutern gebunden und habe damit das Haus geräuchert. Wie jedes Jahr um diese Zeit. Danach hätte ich die Räucherpfanne über den Hof und in die Scheune tragen sollen, aber das Kind verlangte nach der Brust, und so habe ich es versäumt. Stattdessen ist der Vater gegangen.»
In ihren Augen schimmerten Tränen. Der Pater legte ihr eine Hand auf den Unterarm. «Denkt Ihr nun, es wäre Eure Schuld, dass der Vater elend liegt? Meint Ihr, er hat sich da draußen im Sturm die Därme verkühlt?»
Sie nickte leicht und senkte den Blick, aber Fürchtegott schüttelte den Kopf. «Es ist nicht Eure Schuld. Petrus tut, was er will. Und dem Herrn kann man ohnehin nicht ins Handwerk pfuschen.
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