Teufelspfad
den Schultern. „Kris, ich brauche dich. Du musst dich für mich zusammenreißen. Geh an deinen Tisch zurück und ruf Sams Kalender auf. Wenn dir noch etwas einfällt, was wichtig sein könnte, sag es mir. Mit wem hat sie gestern Nacht zusammengearbeitet? Ich brauche eine Liste aller, die mit ihr zusammen Schicht hatten. Kannst du das für mich tun?“
Kris schluckte und nickte.
„Gut. Ich gehe jetzt selber in den Autopsiebereich und schaue mich kurz um, um sicherzugehen, dass sie nicht einfach über einen Fall die Zeit vergessen hat. Ich bin in einer Minute zurück.“
Mehr Zeit, die ihnen durch die Finger rann.
Taylor schaute Kris hinterher, bis sie durch die Tür am Ende des Flurs verschwunden war. Dann zog sie ihre eigene Schlüsselkarte durch, um die Autopsieräume zu betreten. Hier herrschte gespenstisches Schweigen. Die Sonne schien durch die Oberlichter und ließ die Ausstattung aus Edelstahl im frühen Morgenlicht schimmern. Hier war niemand. Zumindest niemand, der noch lebte und atmete.
Panik wallte in ihr auf. Sie schloss für einen Moment die Augen, wappnete sich und ging dann langsam über den Flur zu der Edelstahltür, hinter der sich das Kühlhaus verbarg. Die Leichen wurden nach einem bestimmten System gelagert und lagen in ihren Leichensäcken auf Rolltischen, auf denen die Autopsie stattfand. Wenn es sehr voll wurde, konnte man sie auch vertikal stapeln.
Die Tür öffnete sich mit einem Zischen. Eisgekühlte Luft strömte in den Flur. Eine Reihe von ungefähr zehn Leichen begrüßte sie, alle in ihre schwarzen Säcke gebettet wie Raupen, die sich darauf vorbereiteten, ihre Hülle abzustreifen und die Flügel ihrer Seelen für ein Leben nach dem Tod auszubreiten.
Hektisch öffnete Taylor jeden einzelnen Leichensack; beim dritten ging ihr der Reißverschluss kaputt. Sie schaute in Gesichter und sah nichts, während sie unter den tiefgekühlten Leichten verzweifelt nach ihrer besten Freundin suchte.
Das Ende der Reihe, der letzte Sack. Sie atmete dreimal tief durch und packte dann beherzt den Reißverschluss.
Ein Mann. Es war ein Mann.
Erleichterung überwältigte sie.
Noch nie in ihrem Leben war sie so froh gewesen, einen toten Mann zu sehen.
41. KAPITEL
Baldwin tigerte nervös in seinem Büro auf und ab und wartete darauf, dass Kevin ihn zurückrief. Er verfluchte sich dafür, zugestimmt zu haben, dass er und Taylor sich aufteilten. Jetzt, wo der Irre so nah war, wollte er sie am liebsten keine Sekunde aus den Augen lassen. Er schaute aus dem Fenster; die helle Morgensonne verschwand gerade hinter einer grauen, Unheil verkündenden Wolke. Als er eine Stunde zuvor über den Parkplatz gegangen war, hatte schon der Geruch nach Schnee in der Luft gelegen. Ein Wintersturm war genau das, was ihnen zu ihrem Glück noch fehlte.
Die Ahnung, die Taylor bezüglich der Kürzel auf der CD gehabt hatte, erwies sich als richtig. Eine schnelle Suche in den Datenbanken ergab, dass es sich bei den Zahlenkombinationen, die der Pretender ihnen geschickt hatte, tatsächlich um Autokennzeichen handelte. Alle drei Fahrzeuge waren auf Mietwagenfirmen zugelassen. Kevin durchsuchte gerade die Datenbanken mit den entsprechenden Firmen, um herauszufinden, wo sich die Wagen derzeit befanden.
Das tat er jetzt schon seit über zwanzig Minuten. Wieso dauerte das so lang?
Baldwin starrte sein Telefon an, als wolle er es durch reine Gedankenkraft dazu bringen, zu klingeln.
Nichts.
Er setzte sich an den Schreibtisch und klappte seinen Laptop auf. Surfte durch die Nachrichtenseiten. Sein Magen zog sich zusammen.
So ein Mist.
Die Geschichte war überall. Die Schlagzeilen lauteten:
Die Serienmörder gehen um
Das Land wird angegriffen
Wissen Sie, wo Ihre Kinder sind?
Rede nicht mit Fremden
Wiederauferstehung der Serienmörder erschüttert die Nation
Er klickte auf den letzten Link, um zu sehen, ob es etwas Neues zu erfahren gab. Manchmal tat die Presse ihm einen Gefallen, wenn sie sich einem Mordfall widmete. Er bezweifelte jedoch, dass das dieses Mal auch der Fall sein würde.
Die Geschichte war so sensationsheischend geschrieben, wie er befürchtet hatte – doch die Informationen waren erschreckend genau.
Der anonyme True-Crime-Blogger Felon E ist zum Opfer geworden. Fans, die auf der weitverbreiteten Seite regelmäßig Kommentare hinterlassen haben, werden von genau den Mördern angegriffen, von denen Felon E behauptet, sie zur Strecke bringen zu wollen. Die Polizei bewahrt Stillschweigen über den Fall, aber
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