Teufelspfad
Starke kleine Ruth. Gewillt, beinahe alles für ihn zu tun. Lügen. Stehlen. Töten. Das kam bei einer Schwester sehr gelegen.
„Antworte mir, Ruth. Was wissen sie über mich?“
Ihre Worte kamen in abgehackten, kurzen Stößen heraus. „Nichts. Ich schwöre dir, sie haben nichts. Sie können meine Wohnung nur durch einen Zufall gefunden haben. Jemand muss mich an einem der Tatorte wiedererkannt haben. Sie hatten Bilder von uns von der Überwachungskamera an der Tür. Bestimmt haben sie die herumgezeigt, und jemand hat mich darauf wiedererkannt. Ich weiß, dass es weder Newt noch Harvey waren. Newt haben wir entsorgt, sobald wir aus North Carolina raus waren.“
„Ihr habt Newt getötet? Dazu habe ich euch keine Erlaubnis erteilt.“
„Es tut mir leid. Es ging nicht anders. Ich hatte Angst …“
„Angst vor was?“
In ihren Augen sammelten sich Tränen. „Angst, dass du ihm befohlen hast, mich zu töten – oder Harvey. Das Risiko konnte ich nicht eingehen.“
„Vertraust du mir nicht, Ruth? Ich bin dein Bruder.“
Sagte der Mungo zur Kobra.
„Natürlich vertraue ich dir, Ewan. Aber Newt hat sich seltsam benommen und ständig seine E-Mails gecheckt. Ich bin einfach panisch geworden. Vielleicht war er ein Spitzel, verstehst du? Einer von ihnen, ein Informant. Harvey wollte es tun, also habe ich zugestimmt.“
Sieh an, die kleine Ruth zeigte ein wenig Rückgrat. Er musste zugeben, dass er beeindruckt war. Sie war klüger, als er ihr zugestanden hatte.
„Hast du Harvey unter Kontrolle? Noch mehr negative Aufmerksamkeit können wir nicht gebrauchen. Das hier ist mein Plan, mein Spiel. Nicht seins.“
„Natürlich. Ich habe ihm gesagt, er soll erst einmal untertauchen.“
„Ruth, lüg mich nicht an. Ich habe den Fall von dem vermissten Jungen gelesen, der erst letztes Wochenende hier in der Stadt verschwunden ist. Ich weiß, dass du über Halloween mit Harvey hier in der Stadt warst, um dich umzuschauen. Habt ihr euch dabei ein wenig Spaß gegönnt?“
„Nein, nein. Haben wir nicht.“
Er zog fester und spürte, wie sich ein paar Haare an der Wurzel lösten. Endlich wimmerte sie leise.
„Ja, okay. Wir konnten nicht anders. Er war da, wir mussten nur zugreifen. Er war betrunken. Du weißt, wie Harvey mit betrunkenen Jugendlichen ist, die auf der Straße herumlaufen. Es tut mir leid. Sie werden ihn nicht finden. Und sie werden ihn niemals mit dir in Verbindung bringen. Versprochen. Harvey hat ihn aus der Stadt gebracht.“
Mein Gott. Man konnte heutzutage wirklich nicht mehr darauf vertrauen, dass sich irgendjemand an den Plan hielt .
Er beugte sich herunter, sodass sein Gesicht nur Millimeter von ihrem entfernt war, und fletschte die Zähne. Sein Speichel sprühte über ihre Nase und ihren Mund. „Du hattest nicht das Recht, eine solche Entscheidung zu treffen.“
Sie sackte gegen ihn und ließ zu, dass er noch stärker an ihren Haaren zog. „Du hast recht. Ich werde mich um Harvey kümmern. Ich bringe ihn noch heute Abend um. Versprochen:“
Gut. Sie hatte die Nachricht verstanden. Er ließ ihre Haare los, und sie fiel mit einem zufriedenstellenden lauten Rums zu Boden.
Er zog seinen Stuhl heran und setzte sich, sah zu, wie sie ihre Kopfhaut rieb, sich dann vorsichtig aufsetzte und ihre Beine übereinanderschlug, so wie früher, als sie klein gewesen war.
„Ich schwöre es“, sagte sie und schaute ihm direkt in die Augen.
„Was werden sie in deiner Wohnung finden?“
„Nichts. Gar nichts.“ Aber sie wich seinem Blick aus, und er wusste, dass sie ihm irgendetwas verschwieg. Dummes, dummes Mädchen.
„Was haben sie, Ruth? Sag es mir. Sag es mir!“
Sie fing an zu weinen, schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und schaukelte langsam vor und zurück, ein auf den immer gefährlicher werdenden Wellen treibendes Boot.
Er atmete scharf durch die Nase ein. Jetzt die Geduld zu verlieren, wäre nicht hilfreich. Wenn er jetzt das wahre Ausmaß seiner Wut zeigte, würde Ruth sich komplett in sich zurückziehen und stundenlang vor- und zurückschaukeln, wie sie es auch als Kind schon getan hatte. Er war ihr immer von der Schule aus nach Hause gefolgt, hatte sie im Wald abgefangen und mit ihr gespielt. Meistens Schach, denn Mühle und Backgammon waren zu leicht. Sie war gut darin, Geheimnisse zu bewahren, aber wenn es ihr zu viel wurde, schaltete sie ab und zog sich in diese wundersame kleine Welt zurück, die sie sich erschaffen hatte. Dann würde er heute nichts mehr aus ihr
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