Teufelspfad
zaubern. Ruth sagte die Wahrheit – sie hatte versucht, seine Geheimnisse zu bewahren. Er hatte so darauf geachtet, seine Spuren zu verwischen. Jedes Jahr neue Namen, neue Städte, neue Gesichter. Ruth war der einzig lebende Mensch, der wusste, wer er wirklich war. Der Rest seiner Familie war tot oder weggesperrt. Vor allem seine Mutter. Sie war total verrückt und erinnerte sich nicht einmal mehr daran, dass sie überhaupt Kinder gehabt hatte. Ein einziges Mal hatte er sie besucht. Das war vor drei Jahren gewesen. Nur um sicherzugehen. Dank Jahren der Geisteskrankheit und der Krebsmedikamente war ihr Gehirn nur noch Brei. Sie sah Teufel auf den Schultern der Wachen sitzen, die sie zum Baden zwingen mussten, weil sie eine unerklärliche Angst vor Wasser entwickelt hatte. Sie war eine regelrechte Medusa geworden, die Haare zu übel riechenden, ungekämmten Dreadlocks verklebt. Sie war in ihrem eigenen Geist gefangen.
Nein, was sie anging, war er auf der sicheren Seite. Er machte sich keine Sorgen, dass jemand die Wahrheit herausfand. Die Schlampe war tot.
Aber die drei finalen Schachfiguren waren auf dem Weg zu ihm. Wer würde es sein? Wer würde das Spiel gewinnen? Wer würde als würdig erachtet werden? Welcher Bauer würde es bis zum anderen Ende des Schachbretts schaffen und so die Chance erhalten, zuzusehen, wie er Jackson auf die Art des siegreichen Mörders tötete? Für diese letzte Runde hatte er seine drei Lieblingsserienkiller der Vergangenheit ausgewählt. Zuzusehen, wie sie nach einer ihrer Methoden starb, wäre ein großes Vergnügen.
Die eine Million Dollar war sicher ein Anreiz. Die drei Figuren waren höchst motiviert. Wenn er einen Tipp abgeben müsste, würde er sagen, der junge Kerl aus Boston wäre der wahrscheinlichste Kandidat. Bei ihrem Gespräch hatte er wesentlich ruhiger und erwachsener geklungen als sie anderen beiden. Konzentrierter. Er war finanziell unabhängig und tat es somit nicht nur des Geldes wegen. Nicht wie Kalifornien – der steckte bis über beide Ohren in Schulden, das Haus war zwangsversteigert worden, er hatte keine Bindungen, kein Fundament. Dazu noch die extralange Fahrt – es war vermutlich nicht ganz fair, ihn so zu benachteiligen, aber er war eindeutig nur geldgierig. Traurigerweise wandelte der Junge aus Long Island auf einem schmalen Grat. Er war total unberechenbar, vielleicht sogar verrückt. Nein, wenn er so darüber nachdachte, war Boston der richtige Anwärter.
Ein neuer Lehrling. Wie aufregend.
Er lächelte vor sich hin, während er Ruth hinterherschaute, wie sie mit ihrem Auto davonfuhr. Er musste an die Worte denken, die sie als Kind immer zu ihm gesagt hatte. Früher hatten sie für ihn keine Bedeutung gehabt, aber je älter er wurde, desto mehr Sinn ergaben sie endlich.
Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen sollte und von dir umkehren. Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott .
Er war Ruths Gott. So, wie er kurz davor stand, Taylor Jacksons Gott zu werden. Es war an der Zeit, das hier zu einem Ende zu bringen. Er langweilte sich langsam. Er verstand Bostonboys Ungeduld. Manchmal konnten Herausforderungen einen ermüden. Sie mussten irgendwann aufhören, ansonsten waren sie nur niemals enden wollende Aufgaben. Reine Sisyphos-Arbeit.
Er wandte sich vom Fenster ab und nahm sich sein Schlüsselband mit der laminierten Marke, die ihren Untergang bedeutete. Er hängte es sich um den Hals und schaute auf die lächelnde Visage hinab, das Gesicht, das er selber kaum noch wiedererkannte.
Oh ja, Taylor. Es ist beinahe so weit .
8. NOVEMBER
30. KAPITEL
Die Skyline von Nashville kam in Sicht. Die Lichter des AT&T-Building und der neue Pinnacle-Turm leuchteten in der Dunkelheit. Als Baldwin und Taylor über die Shelby-Street-Brücke fuhren, blitzten am Ufer des Cumberland River blaue, rote und gelbe Lichter auf und legten auf dem dunklen, bewegten Wasser einen verführerischen Tanz hin.
Baldwin fuhr direkt zu ihrem Büro im Criminal Justice Center. Sie hatte bereits ihr Team aus den warmen Betten geklingelt und dorthin bestellt. McKenzie erwartete sie im Büro der Mordkommission mit einem herzhaften Gähnen und Kaffee sowie einem hausgemachten Chai-Tee für Taylor, den ihm sein Partner Hugh mitgegeben hatte. Baldwin nahm sich einen Kaffeebecher und löste sich von der Gruppe, um von einem der Befragungsräume aus ein paar Telefonate zu führen. Marcus kam fünf
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