Teufelsstern
sie von ihrem Zusammentreffen wüsste. Ob es ein Zufall gewesen war, dass Matt in einem Land mit knapp achtundzwanzig Millionen Einwohnern aus dem Flugzeug stieg und wenig später auf Pedro stieß? Nein, sicher nicht. Zufälle gab es nicht. Es war alles vorherbestimmt – zumindest würde Miss Ashwood das behaupten.
Sollte Richard also entführt werden? War es vorherbestimmt gewesen, dass Matt im Hotel zusammengeschlagen wurde? Hatte er überhaupt noch etwas zu sagen, oder wurde er nur von Mächten herumgeschubst, die er nicht sehen und nicht begreifen konnte? Und wenn das so war, wohin führten sie ihn? Was hatten sie mit ihm vor?
Matt hatte tausend Fragen und nicht eine einzige Antwort. Aber es tröstete ihn ein wenig, dass er und Pedro sich gefunden hatten. Jetzt waren sie schon zu zweit.
Pedro gewann das Spiel. Er lachte zufrieden und sammelte seine Würfel ein. Matt bedauerte wieder einmal, dass sein neuer Freund kein Englisch sprach. Wie sollten sie Seite an Seite kämpfen, wenn sie sich nicht einmal verständigen konnten?
Das Spiel war vorbei. Die kleineren Kinder schliefen schon, und nun holten auch die älteren ihre Decken und legten sich hin. Für Matt war das Zubettgehen immer eine Art Ritual gewesen: Schlafanzug anziehen, waschen, Zähne putzen, jemandem eine gute Nacht wünschen. Hier war das anders, und es ging sehr schnell. Der Abend war einfach zu Ende. Alle nahmen ihre Plätze rund um das schmale, leere Bett ein, und kurz darauf war der Fußboden ein Meer aus Decken, die sich hoben und senkten, während die Kerzen flackerten und merkwürdige Schatten an die Wand warfen. Matt konnte nicht schlafen. Das lag nicht nur am Jetlag, sondern auch daran, dass es mit so vielen Leuten in der Hütte für ihn zu warm war – und außerdem sirrte eine Mücke um ihn herum. Auch an den Geruch hatte Matt sich noch nicht gewöhnt, obwohl er jetzt ein Teil davon war. Er hatte seit achtundvierzig Stunden nicht mehr geduscht, und er spürte, wie Schmutz und Schweiß an ihm klebten. Er dachte an Richard. Sebastian hatte gesagt, dass er wahrscheinlich tot war, aber an diese Möglichkeit wollte Matt nicht einmal denken. Er fragte sich, wieso alles schief gelaufen war und ob sie sich je wieder sehen würden.
Ungefähr eine Stunde später kam Sebastian. Matt stellte beunruhigt fest, dass er betrunken war. Er torkelte zum Bett und brach darauf zusammen, ohne seine Kleider oder auch nur seine Schuhe auszuziehen. Sekunden später schnarchte er schon.
Matt brauchte viel länger zum Einschlafen. Die halbe Nacht war schon um, als sich seine Lider endlich schlossen. Zu seiner großen Erleichterung hatte er diesmal keine Angst, weil er genau wusste, wo er war. Er saß mit Pedro am Strand. Das Binsenboot dümpelte vor ihnen im Wasser und schien darauf zu warten, sie irgendwohin zu fahren.
»Matteo«, sagte Pedro.
»Ich bin froh, dich zu sehen, Pedro.«
»Ich auch.«
Das war merkwürdig. Matt sprach Englisch und Pedro Spanisch. Dennoch konnten die Jungen einander verstehen. Gab es diese Insel nur im Traum? Bisher hatte Matt das immer angenommen. Aber jetzt, während er sich den Sand, das Meer, das Boot und alles andere mit Pedro teilte, war er nicht mehr sicher. Und obwohl er mit Pedro am Strand sprach, wusste ein Teil von ihm, dass sein neuer Freund neben ihm in der peruanischen Hütte lag. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie jetzt zum ersten Mal miteinander reden konnten.
»Ich versteh das alles nicht«, fing Pedro an.
»Du bist einer der Fünf«, sagte Matt.
»Ja, ich weiß. Einer der Fünf – das wurde mir schon so oft gesagt, aber ich habe keine Ahnung, was es bedeutet. Weißt du es?«
»Nicht genau. Es gibt fünf von uns.«
»Ich habe die anderen gesehen. Da drüben…« Pedro zeigte übers Wasser, aber die beiden Jungen und das Mädchen waren nirgends zu sehen.
»Wir sind Torwächter.«
»Was für ein Tor sollen wir bewachen?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Wir haben die ganze Nacht.«
Matt nickte. In der Giftstadt war alles ruhig. Und auch auf der
Insel schien keine Gefahr zu drohen. Der Schwan, der sich schon zweimal aus der Dunkelheit auf sie gestürzt hatte, war nicht zu sehen. Und was hatte das zu bedeuten?, fragte sich Matt. Es gab so vieles, was er nicht verstand.
Er erzählte Pedro alles, was er wusste. Er begann mit dem Tod seiner Eltern und berichtete von seiner Erkenntnis, dass er nie ein normales Leben führen würde, seiner Zeit mit Gwenda in Ipswich und allem, was er wegen
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