Teufelsstern
lebendig. Überall waren Menschen. Sie wohnten hier, es war ihr Zuhause.
»Was ist das für ein Ort?«, flüsterte er.
»Vilcabamba!« Es war Pedro, der ihm antwortete.
Atoc nickte langsam. »Die Stadt der Inka. Viele bedeutende Männer haben nach ihr gesucht. Jahrhundertelang war das unbegreiflich. Aber niemand hat sie gefunden. Vilcabamba kann nicht gefunden werden. Niemand kann diesen Ort finden.«
»Wieso nicht?« Matt war das unbegreiflich. Schließlich hatten sie die Stadt nach einiger Anstrengung erreicht. Der Pfad, der in die Schlucht führte, war ja nicht zu übersehen. Jeder konnte ihm folgen. »Der Pfad – «, begann er.
Atoc schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Pfad«, sagte er.
»Nein, ich meine den…« Matt ging ein paar Schritte zurück und sah um die Ecke.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Der Pfad war nicht mehr da. Die Wand der Schlucht fiel senkrecht ab, und es gab keinen Weg hinauf oder hinunter. Der Pfad, auf dem sie gerade über eine Stunde lang abwärts marschiert waren, war verschwunden.
»Stell keine Fragen«, sagte Atoc. »Du hast Freunde, die auf dich warten.«
»Ja, aber…«
Atoc legte ihm eine Hand auf die Schulter, und gemeinsam gingen sie weiter. Pedro und die anderen Männer waren ein paar Meter vor ihnen. Matt sah sie durch einen steinernen Bogen gehen, und gleichzeitig tauchte ein Mann auf und stieg die Stufen zu ihnen hoch. Er hatte es eilig. Und er war Europäer.
Dann kam der Mann näher, und in Matt stieg ein ungeheures Glücksgefühl auf. Erleichterung machte sich in ihm breit. Matt rannte los. Die beiden fielen sich in die Arme.
Es war Richard Cole.
DIE LETZTEN DER INKA
»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin«, sagte Richard. »Seit dieser Katastrophe in Lima habe ich geglaubt, ich würde dich nie wieder sehen, und ich habe mir die Schuld dafür gegeben. Aber hier waren alle sehr nett zu mir.«
Richard hatte Matt zu dem kleinen Steinhaus auf einer der oberen Terrassen mitgenommen, in dem er lebte. Sie saßen im großen Hauptzimmer, in dem zwei Betten und ein Sofa standen und auf dessen Steinfußboden ein bunter Teppich lag. An den Längsseiten waren merkwürdig geformte Fenster, unten schmaler als oben – wie abgeschnittene Dreiecke. Ähnliche Fenster hatte Matt auch in Cuzco gesehen. Sie hatten keine Glasscheiben, und gab es auch keinen Strom oder fließendes Wasser. Abends wurden Kerzen angezündet. Am anderen Ende der Stadt floss ein Bach, und dort befanden sich die Toiletten und Badehäuser.
Man hatte den beiden Essen gebracht: große Schüsseln voll locro, eine Art Eintopf aus Fleisch und Gemüse. Sie waren unter sich.
Pedro war bei Atoc geblieben und ruhte sich jetzt wahrscheinlich in einem der anderen Häuser aus. Matt war froh, etwas Zeit mit Richard verbringen zu können.
Matt erzählte seine Geschichte zuerst, beginnend mit Pedro und ihrer ersten Begegnung. Dann schilderte er seinen Aufenthalt in der Giftstadt bis zu den Ereignissen auf der hacienda, der Reise nach Cuzco, ihrer nächtlichen Flucht durch die Straßen und verwinkelten Gassen, ihrer Rettung durch Atoc und ihrer mühsamen Reise bis zu diesem Ort. Die beiden hatten einen Krug Wasser bekommen. Als Matt mit seinem Bericht fertig war, hatte Richard den ganzen Krug geleert.
»Also ist Pedro auch einer der Fünf«, stellte Richard fest.
»Ja.«
»Und du redest in deinen Träumen mit ihm.«
»Stimmt.«
Richard seufzte. »Weißt du, was mir wirklich zu schaffen
macht? Ich glaube dir! Noch vor einem halben Jahr hätte ich dir ins Gesicht gelacht, wenn du mir eine solche Story aufgetischt hättest.« Er überlegte kurz. »Hat Pedro denn… du weißt schon… besondere Kräfte?«
»Nein, er ist ein ganz normaler Junge. Und er will mit all dem nichts zu tun haben.«
Richards Geschichte war schneller erzählt.
Nachdem er in Lima gefasst worden war, hatte man ihn dort in ein Haus gebracht, wo er zum ersten Mal mit seinen Entführern geredet hatte. Inzwischen wusste Matt, wer sie waren. Einer von ihnen war Atoc, und ein anderer war Atocs jüngerer Bruder Micos gewesen.
»Ich war richtig froh, dass du entkommen warst«, sagte Richard. »Ich dachte, an mir wären sie ohnehin nicht interessiert und würden mich wieder laufen lassen. Aber dann haben sie mir erklärt, dass sie auf unserer Seite sind. Sie hatten versucht, uns abzufangen, bevor wir in die Falle laufen und von der bestochenen Polizei aufgegriffen werden konnten.«
Matt schauderte bei dem Gedanken daran.
»Atoc und die
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