Teufelswasser
besänftigen und begann mit ihrer Geschichtslektion. «Erste Bestrebungen zur Bildung von Laiengemeinschaften sind bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen. Die frommen Frauengemeinschaften der Beginen zum Beispiel, die als Vorläuferinnen der Säkularinstitute betrachtet werden können, haben sich der Kranken angenommen. Die kirchenrechtliche Anerkennung der Säkularinstitute erfolgte freilich erst im Jahr 1947 durch eine Konstitution Papst Pius' XII.»
Kommissar Lürmann hatte noch eine allgemeine Frage auf dem Herzen, denn überall konnte sich ein Mordmotiv verbergen. «Sind Säkularinstitute nicht auch in Verruf geraten, zu sehr der politischen Macht und der gesellschaftlichen Einflussnahme zu frönen? Soll das etwa auch ihre Aufgabe sein?»
«Nein, ich denke nicht.» Gertrud Steinhag lehnte sich dagegen auf. «Ich halte ein solches äußerliches Machtgebaren überhaupt nicht für vereinbar mit unserer christlichen Grundeinstellung, ja ich halte es geradezu für verwerflich. Das ist in meinen Augen Fundamentalismus.»
«Wie kann das angehen», überlegte Hauptkommissar Glaser, um wieder zum aktuellen Fall zu kommen, «dass Margarete Müller trotz ihres Sohnes und trotz ihres sozusagen fortgeschrittenen Alters eintreten durfte?»
«In Deutschland liegt das früheste Aufnahmealter bei
18 Jahren. Aber nach oben hin haben wir keine ausdrückliche Begrenzung mehr. Es kommt auf die Überzeugung der Person an, die um Aufnahme bittet, auf ihre innere Berufung. Selbstverständlich müssen die Aufnahmewilligen eine geistliche Ausbildung und eine mehrjährige Probezeit absolvieren, bevor das endgültige Versprechen abgelegt wird.»
«Und wie viele Mitglieder haben Sie insgesamt?»
«Weltweit etwa 170. Unserem Institut hier im Bruderwald gehören 21 Frauen an, inklusive der Mitglieder, die im Schloss wohnen. Zum Osterfest am vergangenen Wochenende waren übrigens alle hier versammelt. Das Schloss war voll belegt.» Ein wenig Stolz schwang in der Stimme der Leiterin mit. Doch ihre Freude schlug plötzlich erneut in Trauer um: «Jetzt sind wir nur noch 20.»
Glaser dagegen wurde streng dienstlich: «Das bedeutet, dass wir wahrscheinlich auch von allen auswärtigen Mitgliedern die Fingerabdrücke einholen müssen.» Der Aufwand gefiel im nicht.
Gertrud Steinhag merkte jedoch von seinem Missmut nichts. Sie äußerte stattdessen die spontane Bitte, dass Gabriela Schauberg, da sie sich gerade in Bad Kissingen aufhalte, dem Zwillingsbruder der Getöteten die schmerzliche Nachricht überbringen dürfe. Sie werde sie sofort informieren. «Auf diesem persönlichen Weg ist es für Reinhold Müller hoffentlich etwas leichter. Denn, bei allem Respekt, eine Benachrichtigung durch die Polizei wäre bestimmt schlimmer für ihn.»
Dietmar Glaser war einverstanden.
«Gott segne Sie dafür.»
Als Glaser und Lürmann gleich darauf das Gebäude verließen, fing es zu regnen an. Lürmann spannte seinen Schirm auf und lächelte verstohlen, weil Glaser außer seinem Mantel keinen Regenschutz bei sich hatte. Die Kriminaltechniker am Teich widmeten sich unverdrossen den Details der Spurensuche. Falls der Regen weiter anhielt, mussten sie ein Zeltdach aufspannen. Die Beamten der Schutzpolizei hatten allerdings aufgegeben und waren davongefahren. Auch der Gärtner des Instituts war entschwunden. Die Zähringsdorf blieb freilich tapfer draußen, als wolle sie Bußfertigkeit beweisen.
***
Die Institutsleiterin war froh, dass sich die Kommissare entfernt hatten und sie endlich allein war. So gern sie sonst Auskünfte über das Säkularinstitut erteilte, die Fragen waren ihr zum Schluss zu viel geworden. Sie war immerhin seit der vergangenen Nacht nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es wurde Zeit, sich zurückzuziehen. Auf das Mittagsmahl konnte sie verzichten. Sie wollte nachdenken, und sie wollte etwas überprüfen.
Daher begab sich Gertrud Steinhag nach nebenan, in einen Nebenraum ihres Büros, der ebenfalls nur vom Korridor aus zugänglich war. Hier war die Elektronik untergebracht, die Kommissar Lürmann vermisst hatte: ein Kopier- und ein Faxgerät sowie ein Computer, ein Scanner und ein Drucker. Den Raum hatten sich die Kommissare nicht zeigen lassen; so schlau waren sie eben doch nicht.
Gewiss, mit dem Computer kannte sich Gertrud Steinhag nicht sonderlich gut aus, aber sie hatte sich von einer Bekannten außerhalb des Instituts einiges beibringen lassen und sich zudem von Margarete etliches abgeschaut, zum Beispiel ihr Passwort: Reinhold.
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