Teufelswasser
ungeordnet.
Der Ladeninhaber Anton Müller schaute von einer verschiebbaren Bibliothekstreppe herab, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand. Einen Bleistift hatte er sich hinter das Ohr und ein weiteres Buch zwischen die Knie geklemmt. Eine Ähnlichkeit mit Carl Spitzwegs «Bücherwurm» ließ sich nicht verleugnen. Der große hagere Mann geriet nicht im Geringsten ins Schwanken, als er den Eingetretenen seine Aufmerksamkeit zuwandte. Mit seinem schmalen, länglichen Gesicht, seinen schwarzbraunen Haaren und seiner etwas abgetragenen Kleidung – ein Jackett, eine Cordhose – schien der 46-Jährige tadellos in seine Umgebung zu passen. Um den Hals hatte er einen Wollschal geschlungen. Er litt an einer Erkältung.
«Was kann ich für Sie tun?», fragte er ein wenig ungehalten und musste sofort husten. Anschließend zog er ein Schnupftuch hervor und putzte sich die Nase, wobei Kommissar Lürmann an den Moraltheologen Laubmann denken musste, der ebenfalls Stofftaschentücher verwendete. Glaser verspürte auch ein Kribbeln in der Nase, was er aber dem Bücherstaub zuschrieb. Im durch die Fenster einfallenden Mittagslicht waren die Staubpartikel deutlich zu sehen.
«Herr Müller? Anton Müller?» Kriminalhauptkommissar Dietmar Glaser zückte seinen Dienstausweis und stellte sich und Lürmann vor.
«Das habe ich befürchtet, dass jemand von der Polizei auftauchen wird.» Der Antiquar legte die Bücher im Regal ab und stieg hinunter auf die Ebene der Beamten. «Ich halte Ihr Erscheinen für pietätlos.» Das sollte trauernd klingen, wirkte jedoch aufgesetzt.
Glaser beherrschte sich. «Sie sind doch wie wir sicher daran interessiert, dass die näheren Umstände, die zum gewaltsamen Tod Ihrer Mutter geführt haben, aufgeklärt werden.»
«Hätte das nicht Zeit? Aber gut; wie Sie wünschen.»
Kriminalkommissar Ernst Lürmann betrachtete gedankenverloren die Bücherschätze. Zudem bemerkte er in einem der Regale, auf Griffhöhe, eine angebrochene Mineralwasserflasche und ein halbvolles Wasserglas. Bei Erkältungen soll man viel trinken. Das handschriftlich gestaltete Etikett auf der Flasche konnte er allerdings nicht entziffern. Das mochte die alte deutsche Schrift sein.
Glaser musste seinen Kollegen erneut zur Ordnung rufen: «Notieren Sie bitte die Angaben, die der Zeuge macht.» Lürmann nahm, wie im Park des Säkularinstituts, seinen Stift sowie sein himmelblaues Notizbuch zur Hand und schlug es auf.
Glaser fing unverzüglich mit der Befragung an, bevor der Kollege und der Zeuge wieder unaufmerksam wurden. «Wir möchten das Umfeld Ihrer Mutter kennenlernen.»
«Ihr Umfeld war das Säkularinstitut. Dort sollten Sie nachfragen», erwiderte Anton Müller abweisend.
«Da waren wir schon. Wurden Sie nicht informiert?»
«Worüber denn?»
Lürmann seinerseits blätterte in seinem Notizbuch: «Sie wurden von der Leiterin, Frau Gertrud Steinhag, heute Morgen über den Tod Ihrer Mutter unterrichtet.»
«Sie hat mich kurz angerufen, ja.»
«Das hört sich so an, als wären Sie nicht gut auf das Säkularinstitut zu sprechen.»
Anton Müller hob abwehrend die Hände, neigte den Kopf ein wenig nach unten und zog die Stirn in Falten. «Ich bin nun mal kein Freund des christlichen Traras und der katholischen Durchsäuerung der Welt.»
«Sie spielen auf die Textstelle im Matthäus-Evangelium an: Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau unter einen großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war.» Lürmann hatte bei Laubmann theologisch so manches Nützliche mitbekommen.
«Ah, ein Kenner der Materie. Aber mir schwebt eher die Stelle im Lukas-Evangelium vor: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist Heuchelei, wie Luther den Satz übersetzt.» Der Antiquar zeigte auf ein Bücherregal. «Ich habe einige äußerst prachtvolle Bibelausgaben hier im Laden und in meinem Safe.»
Das biblische Gezänk um Matthäus, Lukas und Luther ging Glaser auf die Nerven. «Mir ist egal, ob Sie katholisch oder evangelisch sind …»
«Formal bin ich katholisch», unterbrach ihn Anton Müller.
«… ich bin nur neugierig, ob Ihre Mutter von Ihrer kritischen Einstellung zu ihrer Lebensentscheidung, sich einem Säkularinstitut anzuschließen, etwas geahnt hat.»
«Hat sie vermutlich», sagte Müller nachdenklich. «Aber ich habe es vermieden, mit ihr darüber zu sprechen. – Wir hatten unsere Tabuthemen.»
«Als da wären?»
Der Antiquar gab ungern Auskunft. «Sie haben gewiss herausgefunden, dass ich
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