Teufelswasser
Sehr unoriginell.
Seit längerem hatte sie Margarete nicht mehr so vertraut wie ehedem. Deshalb hatte sie sich auch Computerkenntnisse angeeignet und ihr dies verschwiegen. Gertrud wollte vermeiden, dass Margarete als Einzige über interne Informationen verfügte und sie im Computer verborgen hielt, gleichgültig, wem zukünftig die Leitungsfunktion übertragen worden wäre. Wie oft hatte sie sich, während Margarete vor dem Bildschirm saß, zum Kopiergerät begeben und ihr dabei über die Schulter geblickt.
‹Die gute Margarete hat nie Verdacht geschöpft, weil sie mich in ihrer überheblichen Art leichtsinnigerweise für ahnungslos gehalten hat›, dachte die Leiterin bei sich, indem sie nun selbst vor dem Computer Platz nahm und eine über die Stirn gefallene graue Haarsträhne unter die taubenblaue Haube zurückschob.
Sie hatte keine Sorge, entdeckt zu werden. Agnes Zähringsdorf war vermutlich noch im Park oder würde höchstens gottgefällig zur Kapelle hasten; die Seniorinnen verbrachten eh die meiste Zeit in ihren Zimmern unterm Dach, wohl weil sie glaubten, nur von oben herab alles überschauen zu können; und Margarete Müller war tot. So traurig es war, es war unabänderlich.
Gertrud Steinhag schaffte es sofort, die unter Margaretes Passwort gespeicherten Dateien auf den Bildschirm zu holen und zu öffnen. Was sie zu sehen bekam, verwunderte sie nicht. Sie hatte vermutet, ja erwartet, dass Margarete Müller über die Mitglieder des Säkularinstituts Dossiers angelegt hatte. Sogar Gärtner Kornfeld war vertreten. Und in den Dossiers waren nicht nur allgemeine Personendaten vermerkt, sondern auch Gesprächs- sowie Beobachtungsnotizen und zudem ganz schlicht Gerüchte.
Margarete hatte sich offenbar auf die Leitung des Hauses und die Umsetzung ihrer Ziele gut vorbereiten wollen. Doch jetzt hatte sich die Leitungsfrage, wie von selbst, weitgehend erledigt. Und warum sollte sich nicht jemand anderes die Daten zunutze machen?
V
ES WAR RECHT FRÜH AM NACHMITTAG; Donnerstagnachmittag. Kommissar Glaser und Kommissar Lürmann schritten, bald nach ihrer Ermittlungsarbeit im Säkularinstitut, über das Kopfsteinpflaster der Bamberger Altstadt. Sie begaben sich zu dem Antiquariat, dessen Inhaber Anton Müller war, der Sohn der ermordeten Margarete Müller. Diesmal hatte Glaser, um den spöttischen Blicken seines Kollegen zu entgehen, seinen Stockschirm mit braunem Holzgriff dabei; doch jetzt regnete es nicht.
Die Lage des Spezialgeschäfts für Buchliebhaber war angemessen: in einem der älteren Teile der Stadt, zu Füßen des Dombergs. In den verzweigten Gassen und stilleren Winkeln fand sich eine erkleckliche Anzahl traditioneller Läden, unter ihnen das Wollgeschäft von Dr. Philipp Laubmanns Cousine Irene. Lürmann wie Laubmann zogen diese Läden bei weitem den marktschreierisch auftrumpfenden Handelsniederlassungen der lauten Fußgänger- und flächenfressenden Einkaufszonen vor. Die Traditionspflege ließ die Redlichkeit eines althergebrachten kaufmännischen Standes erkennen.
Schräg gegenüber dem Antiquariat wurde Kommissar Lürmanns Aufmerksamkeit vom Schaufenster eines Dessousgeschäfts gefangen genommen, gerade weil ein solches Geschäft nicht ganz den traditionellen Gepflogenheiten einer Domstadt entsprach. Trotz der kleinen Schaufensterfläche waren erstaunlich viele Dessous, mehr oder weniger durchsichtig und auf künstlichen Büsten, ausgestellt sowie von hinreißenden Hochglanzfotos umgeben. Die Vielfalt der weiblichen Leibwäsche verblüffte Lürmann immer aufs Neue.
Sein Kollege musste ihn schließlich von diesem Anblick befreien. «Wir haben eine Befragung durchzuführen.»
Als sie die mit einer beschrifteten Verglasung versehene Eingangstür des Antiquariats öffneten, waren sie sogleich in einer anderen, wenn auch nicht weniger reizvollen Welt. Sie wurden einer offensichtlich gut geführten Buchhandlung gewahr, die eine Menge geistiger Schätze barg: Gebundene Gesamtausgaben klassischer Literaten, großformatige Folianten und Atlanten und nicht zuletzt kunsthistorische Prachtbände standen aufgereiht in hohen, teils mit Schnitzereien verzierten Regalen, welche die Wände bedeckten. Die Bücher stapelten sich zudem auf fahrbaren Tischen, auf Stühlen, einer Zwischenstiege zu einem Nebenraum, auf dem Boden unter dem Kassentisch mit der angejahrten Kurbelkasse, die nach wie vor funktionierte, oder auf dem Schreibtisch nahe einem Computerbildschirm. Sie waren jedoch keineswegs
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