Teufelswasser
Mutter!»
«Es wäre ein Mordmotiv.»
VI
IRENE UND ROSE LAUBMANN hatten es sich im hinteren Teil ihres Wollgeschäfts auf kleinen Plüschsesseln gemütlich gemacht, ohne dabei eine etwaig eintretende Kundschaft zu übersehen. Der Laden befand sich, unweit des Antiquariats Müller und des Dombergs, in einer Gasse mit mittelalterlichen Häusern und hatte ebenfalls den Stil einer früheren Zeit bewahrt, in der noch keine Selbstbedienung, Fassadenverglasungen oder automatische Türöffner existierten. Nach außen hin präsentierte er sich nur mit einem mittelgroßen, holzumrahmten Schaufenster; daneben erlaubte während der Öffnungszeiten eine gläserne Tür, die von innen mit einem Vorhang bespannt war, den Zutritt.
Der Verkaufsraum war rundherum mit Schränken und Regalen ausgestattet, die mit Wollknäueln, diverser Oberbekleidung und Stoffen bestückt waren. Das Geschäft war gut assortiert. An der Decke hing eine ältere Neonröhrenlampe mit fast verblichenen Werbeaufdrucken. Darunter stand die Ladentheke mit einer nicht mehr verwendeten alten Kasse, zu der sich die vorschriftsmäßige elektronische Kasse gesellt hatte. In einem angrenzenden Raum, den das Neonlicht nicht ganz erreichte, verdeckte ein Paravent die Kochnische und den Tisch für die Mittags- oder Kaffeepausen.
Irene Laubmann, 40 und Philipp Laubmanns Cousine, hatte brünette Locken und trug heute ein dunkelblaues Strickkleid, das ihre gefälligen weiblichen Formen anziehend betonte. Sie lebte geschieden und hatte ihren Mädchennamen – als Tochter des Bruders von Philipps Vater – wieder angenommen. Ihre 15-jährige Tochter Johanna besuchte ein Internat.
Rose Laubmann, 74 und Philipps Mutter, gab sich ohne übertriebenen Aufwand als aparte ältere Dame – man zählte ja zu den alteingesessenen Ladeninhabern der Stadt – und hatte ihre etwas rundliche Figur in die feinen Stoffe eines schwarzen, leicht schimmernden Kostüms gekleidet. Darunter trug sie eine weiße Bluse, geschmückt mit einem unauffälligen silbernen Kreuz an einer Silberkette. Ihre Schuhe waren modisch, aber bequem. Sie besaß noch einen Anteil am Wollgeschäft, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, überließ die Führung desselben jedoch ihrer Nichte Irene. Trotzdem suchte sie ihre frühere Arbeitsstätte gerne auf.
Unter dem Licht einer Klemmlampe blätterten sie beide Zeitschriften durch und besprachen anbei ein paar Abrechnungen, als plötzlich eine intellektuell anmutende, circa 40-jährige, große Frau mit schwarzen Locken eintrat und erwartungsvoll um sich blickte, als interessiere sie sich für etwas anderes als Wolle, Kleidung oder Stoffe. Ihr ausdrucksstarkes, gebräuntes Gesicht war durchaus schön zu nennen. Weder Rose noch Irene konnten sich erinnern, sie jemals im Wollgeschäft gesehen zu haben; doch die Frau wirkte so, als wüsste sie über den Laden und die darin befindlichen Personen Bescheid. Sie ging direkt auf die Inhaberinnen, die sich erstaunt von ihren Sesseln erhoben, zu, begrüßte sie unbefangen und stellte sich vor.
«Ich bin Elisabeth, Dr. Elisabeth Werner. Ich suche Herrn Dr. Laubmann.»
Irene hatte von Philipp längst erfahren, dass es eine Elisabeth in Neuseeland gab, mit der er bisher allerdings nur mittels regelmäßiger und feundschaftlicher E-Mails Kontakt gehabt hatte. Irene war in solchen Dingen mit ihrem Cousin vertraut.
«Sie sind sicher seine Bekannte oder Freundin, die in Neuseeland als Ethnologin arbeitet!»
«Ich bin aber in Bamberg zur Schule gegangen», sagte sie.
Philipp und Elisabeth hatten sich virtuell kennengelernt, als Philipp in einem Mordfall um einen zerrissenen Rosenkranz recherchiert hatte. Diese Art Datenaustausch – sonst überhaupt nicht Laubmanns Art – war seinerzeit nötig gewesen, weil Elisabeth Werner als Zeugin befragt werden musste.
«Jetzt habe ich glücklicherweise eine Anstellung an der Universität Erlangen-Nürnberg bekommen, am neu gegründeten ‹Spix-und-Martius-Institut für Ethnologische Studien›.»
Rose Laubmann glaubte diese Namen schon einmal gehört zu haben und fragte nach.
«Beide stammen aus Franken», antwortete Elisabeth sachkundig. «Johann Baptist Spix aus Höchstadt an der Aisch und Carl Friedrich Philipp Martius aus Erlangen. Sie waren im Auftrag des bayerischen Königs Max I. Joseph in den Jahren 1817 bis 1820 in Brasilien unterwegs und haben dort vor allem den Amazonas bis in seine Quellgebiete erforscht.»
Sie werde künftig viel näher als bisher an Bamberg wohnen,
Weitere Kostenlose Bücher