Teufelswasser
um 17 Uhr einen Moorbad-Termin hatten, beschlossen sie, gemeinsam zum Alten Kurbad zu promenieren, das nahe der Wandelhalle erbaut worden war.
«Was nimmt man für die Gesundheit und gegen das Kranksein nicht alles auf sich», meinte der Mesner.
«Getrennt voneinander sind Gesundheit und Krankheit sowieso nicht zu betrachten», dozierte der Moraltheologe. «Sie sind aufeinander verwiesen. Gesundheit ist keineswegs nur die Abwesenheit von Krankheit. Vielmehr ist die Gesundheit, wie die Krankheit, auch im Bezug zum Tod zu sehen, denn sie kann die Endlichkeit des Daseins nicht aufheben. Außerdem kann sich sogar ein körperlich beeinträchtigter Mensch durchaus gesund fühlen.»
«Nach Ihrer Meinung wäre ich also gesund?»
«Ich will damit bloß zum Ausdruck bringen, dass die Gesundheit nicht allein eine medizinisch, gesellschaftlich oder politisch definierte Dimensionalität hat, sondern sie besitzt für das Individuum ebenso eine soziale, geistige, seelische und nicht zuletzt eine gläubige Tiefe. Für uns Christen etwa kann das ein Aufgehobensein in Gott bedeuten, das über den Hintritt hinausweist.»
«Über den was ?»
«Den Hintritt – den Tod.»
«Aha. – Aber bei aller Gläubigkeit, Herr Dr. Laubmann, ich halte das Leben schlicht für eine unangenehme Erfahrung.» Reinhold Müllers Äußerung klang nicht ermutigend.
«Sie haben nicht unrecht», gab Laubmann zu, weil er selber bisweilen in ernüchternden Situationen so empfand. «Nur, eine solche Einschätzung hat einen zu bitteren Beigeschmack, der einem die Hoffnung raubt. – Oder haben Sie keine Hoffnung mehr?»
«Ganz so schlimm ist es nicht um mich bestellt. Freilich, wenn man älter wird, bleibt einem nicht mehr viel Zeit, Fehler zu korrigieren. Und manches im Leben muss dann als endgültig hingenommen werden.»
Laubmann ließ sich nicht irritieren. «Dennoch schließen schlechte oder irreversible Erfahrungen eine Gesundung im erweiterten Sinne nicht aus. In der Philosophie der Antike gibt es den Begriff der Diätetik . Darunter ist nicht nur eine vernünftige Lebensführung zu verstehen, sondern auch eine Balance des Lebens, bei der keine der uns bewegenden Lebensdimensionen ausgeschlossen ist und keine überwiegt. Gleichwohl ist in der modernen Zeit die Diätetik zu einer oberflächlichen und ideologisierten sowie kostensparenden Diät-Ethik verkommen. Der personale Mensch als geistig-körperliches und gläubig-hoffendes Wesen droht dabei seine Selbstbestimmtheit zu verlieren.»
***
‹Das war wieder ein hübscher Vortrag meinerseits›, urteilte Philipp Laubmann für sich und nicht ohne Selbstlob. Nichtsdestoweniger kam er sich sofort wie ein typischer Gutmensch vor, der bloß an sich selber dachte und sein Wirken in den Vordergrund rückte.
Bereits von der Eingangshalle des Alten Kurbads, das aus den 1920er-Jahren stammte, waren Reinhold Müller und er fasziniert. Ein weitläufiger Rundbau mit der Anmeldung vorne und einer Treppenanlage im rückwärtigen Teil, in deren unteren Bereich die Steinstufen mittig angelegt waren, um sich dann auf halber Höhe zu verzweigen, links und rechts einen eleganten Halbkreis zu vollziehen und auf dem ersten Stockwerk in einer Galerie zu enden. Die Säulen wiesen verzierende Terrakotta-Verkleidungen auf, die bleiverglasten Fenster bestanden aus farbigen Ornamenten.
«Hier würde es meiner Schwester Margarete bestimmt auch gefallen; hier könnt' sie sich erholen von ihrem Verdruss, der sie zur Zeit belastet. So energisch sie ist, so sehr braucht sie doch die Zurückgezogenheit», sagte der Mesner verständnisvoll.
«Ich hab zwar keine Schwester», bedauerte Philipp, «aber meine Cousine Irene ist für Kuranwendungen genauso zu begeistern.» Von ihrem Wellness-Plan hatte er keine Ahnung.
Noch stärker fasziniert als von der Eingangshalle waren Reinhold Müller und Philipp Laubmann indes von den Angeboten, die sie den an der Wand befestigten Tafeln entnehmen konnten: Solebäder, Kräuterbäder, Sprudelbäder, Finnische Sauna, Seifenbürstenmassagen, Unterwasserdruckstrahlmassagen, Wechselgüsse, Kohlensäure-Trockenbäder oder Sisi-Molkekuren, die von Aufenthalten der österreichischen Kaiserin in Kissingen herrührten. Am meisten hatten es Laubmann, obwohl er alles Wässrige nicht so mochte, die verschiedenen Dampf- und Hitzestufen des Römisch-irischen Dampfbads angetan, weil sie mit lateinischen Begriffen versehen waren: Caldarium, Lanconicum und Tepidarium. Irgendwo roch es sogar schwefelhaltig, was
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