Teufelswasser
nämlich in Erlangen. Jetzt sei sie hergekommen, um Philipp mit der Nachricht zu überraschen; denn trotz ihres regelmäßigen Austauschs von E-Mails habe sie ihm diese bislang vorenthalten.
«Leider ist unser Philipp zurzeit nicht in Bamberg, sondern macht eine Kur in Bad Kissingen», erklärte seine Mutter.
«Zwischen Ostern und dem Semesterbeginn Anfang Mai», ergänzte Irene.
«Ist er krank?» Elisabeth schien besorgt.
Rose beruhigte sie. «Ist nicht so schlimm. Er soll nur was gegen sein Übergewicht tun!»
Mit rollenden Augen signalisierte Irene, dass Rose solche «Intimitäten» nicht ausplaudern möge; Philipp könnte deswegen in Elisabeths Augen unvorteilhaft erscheinen.
Diese hatte es freilich mitbekommen, schwieg aber höflich zu diesem Thema und bedauerte, ihn bisher nicht persönlich angetroffen zu haben. Etwas ratlos hielt sie inne, war sie doch seinetwegen fast direkt aus Neuseeland nach Bamberg gefahren.
«Ich habe eine Idee!» Irene schnippte mit den Fingern. «Warum sollen wir drei Philipp nicht in Bad Kissingen besuchen und die Überraschung damit nachholen?» Sie wollte Elisabeth helfen; denn sie hatte schon bei dieser ersten kurzen Begegnung einen Draht zu ihr gefunden. «Wir buchen gleich fürs kommende Wochenende ein ‹Wellness-Weekend zum Verwöhnen›. Bereits ab morgen Abend, Freitag.»
«Da kann ich leider nicht. Morgen Abend bin ich zu einem Vortrag eingeladen.» Elisabeth musste passen, obwohl sie die Wellness-Idee reizte.
«Wie wär's dann mit einem Aufenthalt von Samstagvormittag bis Montagvormittag? Ich schließe das Geschäft ausnahmsweise mal am Samstag und am Montagvormittag.»
Rose Laubmann hegte Bedenken, und zwar wegen der christlichen Sonntagspflicht. «Gibt's in Bad Kissingen eine katholische Kirche?»
«Bestimmt», meinte Irene, «zumindest einen Kurseelsorger.»
Da alles machbar schien, steigerte sich die Begeisterung der drei für den Kurzbesuch in der Bäderstadt. Nur einen letzten Punkt wollte die besorgte Rose noch geregelt wissen. «Sollte deine Tochter nicht übers Wochenende kommen?» Schließlich war Johanna so etwas wie eine Enkelin für sie, weil von ihrem Sohn Philipp, dem Moraltheologen, diesbezüglich wenig zu erwarten war.
Irene zerstreute die Bedenken. «Die kommt gut allein zurecht. Der Kühlschrank ist voll, und sie trifft sich sowieso lieber mit ihren Freundinnen.»
VII
PHILIPP LAUBMANN WAR BEEINDRUCKT. Die Wände der
1911 errichteten großen Wandelhalle in Bad Kissingens Kurbereich reichten weit nach oben. In strahlendem Weiß gehalten, reflektierten sie das Tageslicht, das durch hoch angebrachte Fenster einfiel. Wie im Hauptschiff einer Kirche. 90 Meter lang, mit Säulenreihen rechts und links, die gewissermaßen Seitenschiffe abtrennten; und dann die kreuzförmig dazu erbaute Brunnenhalle. Auf der Bühne, die wie eine Apsis wirkte, spielte das Kurorchester ein Potpourri aus Walzermelodien.
Laubmann gefielen Kirchenräume, vor allem die geschichtsträchtigen, klassischen. Allein schon deshalb war er von der Wandel- und der Brunnenhalle angetan. Selbst Walzerklänge würden ihn in Kirchen nicht befremden, ungeachtet dessen, dass die katholische Kirche diesen Tanz in seinen Anfangszeiten als unmoralisch abgekanzelt hatte.
Das Kurorchester war wieder vollzählig. Im Winter nämlich nahmen die Musiker Urlaub, sodass sie zu dieser Zeit nur in verminderter Besetzung auftraten. Im Sommerhalbjahr hingegen waren alle Mitglieder anwesend.
Die Bühne war eine Drehbühne. An kalten oder kühleren Tagen war sie nach innen gerichtet; an den warmen Tagen aber konnten die Kurgäste die Konzerte im Freien genießen, draußen im Kurgarten vor den Arkaden.
Die Hallen waren belebt. Viele Patienten saßen an diesem Freitagnachmittag wie an den übrigen Nachmittagen in den zahlreichen Stuhlreihen und lauschten dem Orchester, oder sie gingen bedächtig umher, mit einem Glas in der Hand, und tranken das Heilwasser unterschiedlicher Aufbereitung in kleinen Schlucken. Wie es medizinisch eben angeraten war, und je nach individuellem Leiden.
Dr. Philipp Laubmann ließ sich in der Brunnenhalle von einer der für den Wasserausschank zuständigen Brunnendamen, die im Umgang mit dem Heilwasser und den Kurgästen geschult waren, ein Trinkglas füllen. Trachtenartig gekleidet und vor dem im Sonnenlicht glänzenden Geflecht aus Bronzeröhren stehend, vermochten sie es sehr geschickt, die Kohlensäure aus dem Wasser herauszufiltern, indem sie das kostbare Nass zwischen
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