Teufelswasser
nicht auf ihren dunkelblauen Mantel verzichten. Vom Waldrand her blinkte es, als würde ein Katzenauge, das an einem Ast aufgehängt war und das Wild davon abhalten sollte, den Wald zu verlassen, einen Sonnenstrahl reflektieren.
Sie entschlossen sich, durchs Dorf zu gehen, zumal sie den Wagen dort geparkt hatten, Gabrielas Wagen. Die Bauernhöfe standen nicht zu eng aneinander. Der Platz vor der Klosterkirche wirkte sogar großzügig und umfasste eine gepflasterte Fläche, in die man verschiedenfarbige Steine eingelassen hatte, um die Grundmauern der früheren Klostergebäude nachvollziehbar zu machen. Gabriela Schauberg und Philipp Laubmann, die ältere Dame und der jüngere Herr, wurden von einigen Bewohnern neugierig aus Türen und Fenstern heraus betrachtet.
Genauso neugierig war ein Beobachter, der sich soeben in den Schutz des Waldes zurückzog und sein Fernglas wieder ins Futteral schob. Dass eine der Linsen im Sonnenlicht aufgeblitzt war, hatte er gar nicht bemerkt. Er war Ende 40, gut 1,85 groß und einigermaßen durchtrainiert. Er hatte kurze braune Haare mit einem Mittelscheitel, wobei ihm eine Strähne ins blasse Gesicht hing. Eine feine, dünne Narbe zog sich schräg über die linke Schläfe. Er trug eine schwarze Jeans und eine schwarze Lederjacke.
«Wir sollten es auf keinen Fall versäumen, die Kirche zu besichtigen», beharrte Philipp Laubmann. «Sie enthält ein Juwel.»
Gabriela willigte ein, und Philipp durfte ihr die schwere Eingangstür von Sankt Blasius aufhalten. Sobald sie die Andacht des romanischen Kirchenraums umfing, bekreuzigten sie sich mit Weihwasser und nahmen den ersten Eindruck bedächtig in sich auf. Der Innenraum war unschwer zu überblicken, denn er bestand nur aus einem schlicht gestalteten, recht langen Kirchenschiff ohne Seitenschiffe.
Laubmann kaufte sich bald, wie es seiner Gewohnheit entsprach, einen heftförmigen Kirchenführer an einem aufgestellten Regal. Die Münzen klimperten laut beim Einwerfen im eisernen und wohlverschlossenen Geldkasten. Er war leer gewesen.
Nachdem er den Einleitungstext überflogen hatte, trug er einzelne Sätze aus dem Kirchenführer vor. Er ging selbstverständlich davon aus, dass sich seine Begleiterin dafür interessieren würde. Und er ergänzte die Sätze durch Angaben aus einem mitgebrachten Kulturführer über Frankens Kurbäder. Frauenroth lag ja nur einige Kilometer von Bad Kissingen und Bad Bocklet entfernt.
«Beatrix von Courtenay war die Gemahlin des Minnesängers Otto von Botenlauben, der um 1175 geboren wurde und dem einflussreichen fränkischen Adelsgeschlecht der Henneberger entstammte. Beatrix und Otto haben das Kloster der Zisterzienserinnen im Jahre 1231 gegründet. Otto von Botenlauben zählt zu den Kreuzrittern und hat über 20 Jahre seines Lebens im Heiligen Land verbracht. Dort hat er die Ehe mit Beatrix geschlossen, der Tochter des Seneschalls von Jerusalem. Mit ihr zusammen ist er 1220, nach dem Verkauf seiner Besitztümer in Palästina, hierher nach Franken zurückgekehrt.
Gut zehn Jahre später hat er seine Burg, die heute noch als Ruine über Bad Kissingen erhalten ist, veräußert und die letzten Lebensjahre mit seiner Gemahlin im Kloster Frauenroth verbracht. 1244 ist er gestorben; nicht lange Zeit danach auch seine Gemahlin. Die Grabstätte der beiden befindet sich in dieser Kirche, und zwar hinter dem Hochaltar. Das Kloster wurde, bedingt durch Verwüstungen im Bauernkrieg, 1574 aufgehoben. In einer Sage heißt es, Beatrix habe ihren Schleier auf der Burg Botenlauben vom Wind davontragen lassen, und da, wo er niedergesunken sei, seien die Kirche und das Kloster erbaut worden.»
Gespannt wandelten Gabriela und Philipp in Richtung Hochaltar, der das schmale Kirchenschiff in zwei Bereiche unterteilte. Sie gingen um den Altar herum und sahen am Boden die Grabplatte mit den realistisch gestalteten Reliefs des adeligen Stifterpaares, «das Juwel».
Was sie nicht sahen, war, dass draußen derjenige, der sie belauert hatte, in einem schnellen silbergrauen Wagen davonfuhr. Und sie sahen ebenfalls nicht, dass im selben Augenblick Prälat Albert Glöcklein und Dr. Elisabeth Werner durch die Kirchentür hereinkamen. Rose und Irene Laubmann waren von ihrem Wellness-Wochenende nach Bamberg zurückgekehrt. Elisabeth Werner blieb hingegen noch etwas länger in Bad Kissingen, weil sie nach wie vor hoffte, Philipp dort anzutreffen. Mit ihrer Größe und ihren hohen Schuhen überragte sie den kirchenfürstlichen Herrn
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