Teufelswasser
Rüdiger Pabst, sein Badearzt, hatte ihn kürzlich schon ganz und gar durchdringend angeschaut.
Philipp hatte sich nur schnell die Zähne geputzt sowie «oberflächlich» gewaschen – ‹wie denn sonst?›, dachte er; ‹ich wasche mich immer nur an der Hautoberfläche› –, hatte sich trocken rasiert, seine Alltagskluft übergestreift und seine Pension ohne Frühstück verlassen. Er war als Erster an der Konditorei und bewunderte gleich durchs Schaufenster das breitgefächerte Buffet, das gerade seinen letzten Schliff erhielt. Lürmann kam ein bisschen zu spät und wirkte erschöpft.
«Du siehst ziemlich verwelkt aus, und das im Frühjahr und nicht im Herbst» – wollte Laubmann sagen, sagte es aber nicht, sondern nur: «Hast du gestern etwa ein Moorbad genommen?»
«Gestern Abend in meinem Hotel. Die Moorbad-Abteilung im Alten Kurbad ist noch gesperrt.» Ernst Lürmann hatte den Tatort bereits begutachtet. Alle Zugänge waren vom Erkennungsdienst versiegelt worden. Am Eingang, den er benutzt hatte, hatte er das vorherige Siegel durch ein neues ersetzt. «Und nach dem Moorbad war ich kurz in der Sauna.»
«Wellness pur.»
«Ich hab mich überanstrengt.»
In der Konditorei türmte Philipp, zum Erstaunen Lürmanns, vor sich ein reichhaltiges «Déjeuner» auf. «Mein Frühstück.» Er fühlte sich eben tatendurstig und jedes Mal sofort hungrig, wenn er bloß das Wort «Diät» irgendwo las, wie zum Beispiel auf der Titelseite der in der Konditorei ausliegenden Kur-Zeitung. Zudem wollte er auf das Erfrischtwerden durch einen Pfefferminztee nicht verzichten. Mehrfach war er zwischen Tisch und Buffet hin- und hergegangen und hatte schließlich drei wohlgefüllte Teller, zwei volle Kännchen Tee und ein Glas mit frisch gepresstem Orangensaft vor sich stehen, süßte jedoch mit Süßstoff. Der vom Verkaufsraum abgetrennte Frühstücks- und Café-Bereich war bereits gut besetzt, und nicht nur mit Übergewichtigen.
«Bekommt dir so viel am frühen Morgen?» Lürmann begnügte sich mit einem Milchkaffee und einem belegten Brötchen.
«In Abwandlung eines Gedankens von Peter Altenberg, dem Wiener Kaffeehaus-Literaten, behaupte ich, essen ist wie turnen von innen.»
«Ihr Geisteswissenschaftler schafft es immer, euch rauszuwinden.» Der Kommissar schwankte zwischen Neid und Abneigung.
Sie redeten darüber, wie sie geschlafen und was sie in Bad Kissingen schon alles besichtigt hatten. Der Kommissar beschrieb sein Hotel, in dem er ein ordentliches Zimmer bezogen hatte, jedenfalls ordentlicher als seine Wohnung in Bamberg. «Und wie sieht deine Pension aus?»
«Ich hoffe, meine Pension wird großzügig bemessen sein, wenn ich dereinst in den Ruhestand trete.» Laubmann war nun mal zum Scherzen zumute.
«Ich rede von deiner Unterkunft.»
«Die ist nicht so großzügig bemessen.»
Damit war's dann für Ernst Lürmann freilich genug. Er wollte von seinem Gegenüber nun keine Witzeleien mehr hören, sondern Tatsachen. Schließlich ahnte die Oberkommissarin nicht, dass er sich vorab mit ihrem Verdächtigen traf, um ihn, wenn nötig, ein wenig auf ihre Befragung vorzubereiten und sich mit ihm auszutauschen. So erfuhr Lürmann Näheres über den Mord im Moorbad und Laub mann über die Ermittlungen in Bamberg. Der Kommissar wollte den Theologen durchaus auf dem Laufenden halten, weil der hinsichtlich des kirchlichen Umfelds stets Informationen parat hatte. Dennoch ließ sich Laubmann nicht verführen, sofort alle von ihm in Erfahrung gebrachten Einzelheiten aus dem Säkularinstitut preiszugeben. Ahnungen behielt er meistens erst einmal für sich.
Während sich der Moraltheologe bereits an seinen dritten Frühstücksteller ranmachte – es passte ja nicht sonderlich viel auf die kleinen Teller –, entnahm der Kommissar seiner braunen kunstledernen Beamtentasche, die er unter dem Tisch abgestellt hatte, eine Plastikhülle mit einer weißen, linierten Karteikarte der Größe A6 darin. Er legte die Hülle mit der Karte neben Laubmanns Teller.
«Unser Erkennungsdienst hat die Karte in einer Briefablage entdeckt, und zwar im Zimmer des ersten Opfers, Margarete Müller.» Lürmann formulierte korrekt, wie es seine Art war. «Es handelt sich eventuell um ein Beweisstück. Die Fingerabdrücke von beiden Toten wurden darauf festgestellt … Margarete und Reinhold … exakter, Fingerabdrücke, die von den Toten zu Lebzeiten, nein, von den Lebenden zu Lebzeiten aufgebracht worden sind.»
«Ich verstehe.» Laubmann wollte ihn
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