Teuflische Kuesse
sie fortgewischt. »Wie soll ich ihr bloß ins Gesicht
sehen? Sie wird mir nie vergeben, was ich getan hab. Wie auch?«
»Sie weiß
gar nicht, dass sie etwas zu vergeben hat, mal ab gesehen von deinen
miserablen Kochkünsten. Ich habe ihr nichts gesagt.«
Lottie
hörte so abrupt zu weinen auf, wie sie angefangen hatte. »Wieso? Wieso machen
Sie so was?«
Er zuckte
die Achseln. »Ich kann mich zwar nicht mehr daran erinnern, aber ich vermute,
ich war auch einmal zehn. Aber mach jetzt ja keinen Fehler. Du hast mir da
einen schlimmen Streich spielen wollen, und ich rate dir, es nicht noch einmal
zu versuchen.«
Lottie
stand verdrossen schniefend auf. »Der Kuchen hätte einem riesigen Scheusal wie
Ihnen nicht so viel zu Leide getan.«
Sie wollte
sich an Nicholas vorbei zur Leiter schlängeln, aber er packte sie fest am Arm
und zwang sie, sich umzudrehen und ihn anzusehen. »Ich weiß, dass du mich
nicht magst, Lottie, und ich glaube, ich weiß, warum.«
Er spürte,
wie ihr kleiner Körper ein wenig zitterte. »Ach, ja?«
Er nickte
und lockerte seinen Griff und seinen Tonfall. »Was auch immer du von mir
denkst, ich habe nicht die Absicht, dir deinen Platz im Herzen deiner
Schwester streitig zu machen. Und für George und dich wird in unserem Heim immer
ein Platz sein.«
Eine Minute
lang schien sie unschlüssig zu sein, als hätte sie ihn am liebsten umarmt. Doch
dann entwand sie sich seinem Griff und kletterte, ohne noch ein Wort zu sagen,
die Leiter hinunter.
Um
George zu finden,
musste Nicholas weit auf die Felder hinauslaufen. Bis er die ausgebrannte Ruine
am Rande des Guts erreichte, hatte es ganz zu regnen aufgehört, und dünne
Nebelschwaden trieben wie Rauchfahnen übers Land. Er duckte sich unter einem
geborstenen Balken durch und fand George genau dort, wo Cookie gesagt hatte –
auf den Resten eines
eingestürzten Kamins, wo einst vermutlich das Wohnzimmer des bescheidenen
Pfarrhauses gewesen war. Der Junge schaute durch ein klaffendes Loch im
ehemaligen Dach zum Himmel empor.
Nicholas
wartete nicht ab, bis George das Schlimmste vermutete und sagte: »Deine
Schwester ist wach und wird wieder gesund.«
»Ich weiß.«
George schaute ihn kühl und geringschätzig an. »Ich hätte sie nicht mit Ihnen
allein gelassen, wenn ich nicht dieser Ansicht gewesen wäre.« Nicholas ging
näher heran und wäre mit dem Fuß beinahe in einer verrotteten Bodendiele stecken
geblieben. »Dieser Ort ist gefährlich. Es überrascht mich, dass man die Ruine
nicht schon längst eingerissen hat.«
»Lady
Eleanor und Laura wollten sie abreißen, aber ich wollte nichts davon hören.
Jedes Mal, wenn sie das Thema aufgebracht haben, habe ich einen Koller
bekommen, der Lottie wie den reinsten Engel aussehen ließ.« George suchte
wieder den Himmel ab, als hoffe er, wenigstens einen Stern durch die Wolken
strahlen zu sehen. »Ich war es, der in jener Nacht die Lampe hat brennen
lassen, wissen Sie. All die Jahre hat Laura mir kein einziges Mal Vorwürfe
gemacht deswegen.«
Nicholas
runzelte die Stirn. »Du warst noch ein Kind. Es war ein Unfall. Eine schreckliche
Tragödie.«
George hob
ein Stück verkohltes Holz auf und warf es hoch. »Ich kann mich an sie erinnern.
An meine Eltern.«
»Dann hast
du Glück«, sagte Nicholas sanft und spürte plötzlich die Leere in seiner
eigenen Brust.
George
schüttelte den Kopf. »Manchmal bin ich mir da nicht so sicher.« Er wischte sich
die Hände ab, stand auf und ließ die schmalen Schultern hängen. »Wenn Sie mich
abholen, um mich durchzuprügeln, ich komme mit.«
Nicholas
hob beschwichtigend die Hand. »Ich weiß nicht, ob du mit Lotties Unfug etwas zu
tun hast oder nicht. Und ich muss es auch gar nicht wissen. Deshalb bin ich
jedenfalls nicht hier.«
»Und warum
sind Sie dann hier?«, wollte George wissen und machte aus seiner
Streitsucht keinen Hehl mehr.
»So wie es
aussieht, wird deine Schwester lange genug leben, um nächsten Mittwoch meine
Frau zu werden. Ich benötige einen Trauzeugen. Ich hatte gehofft, du würdest in
Betracht ziehen, mir die Ehre zu erweisen.«
Vor
Überraschung klappte George der Unterkiefer herunter. »Ich kann nicht
Trauzeuge sein. Haben Sie es noch nicht gehört? Ich bin noch kein Mann.«
Nicholas
schüttelte den Kopf. »Der Maßstab, nach dem sich bemisst, was einen Mann
ausmacht, sind nicht die Jahre, sondern allein, wie er für diejenigen sorgt,
die auf ihn angewiesen sind. Ich habe gesehen, wie viel du hier leistest – du
hackst Holz, du
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