Teuflische Kuesse
einen hohen, schwarzen Hut. Angetrunkene Nachtschwärmer und Frauen mit
trüben Augen bevölkerten die engen Gassen und betrachteten neugierig das
Gefährt mit den zugezogenen burgunderroten Vorhängen und den schweren Türen,
die kein Wappen trugen, das Auskunft über die Fahrgäste hätte geben können.
Wäre Diana
gesehen worden, wie sie mit dem berühmt-berüchtigten Marquess of Gillingham in
einer geschlossenen Kutsche
durch die Nacht fuhr, ihr guter Ruf hätte irreparablen Schaden genommen. Eine
Vorstellung, die ihr allerdings eine perverse Freude bereitete: Die
Lästermäuler, die sie ständig mit mitleidigen Blicken bedacht hatten, plötzlich
schockiert zu sehen. Sollten sie hinter ihren Fächern ruhig zur Abwechslung
einmal über Diana tratschen!
Sie strich
sich das Haar glatt und schaute den Mann, der ihr gegenüber auf den
Samtpolstern saß, verärgert an. Seiner lässigen Haltung zum Trotz war er wie
üblich untadelig gekleidet. Nichts deutete darauf hin, dass man ihn – genau wie
auch Diana – mitten in der Nacht aus seinem anheimelnden Zuhause gezerrt
hatte. Der schwere Duft von Piment-Rum lag in der Luft und berauschte Diana ein
wenig.
»Sie haben
meinen Bediensteten einen ganz schönen Schrecken eingejagt, so heftig wie Sie
an die Tür gepocht haben«, sagte sie. »Ich kann nur hoffen, dass Ihre
Entdeckung es wert ist, mich aus dem Bett geholt zu haben.«
Thane
kreuzte die langen Beine an den Knöcheln. Obwohl er im geräumigen Fußraum der
Kutsche nicht Gefahr lief, Diana zu berühren, zog sie dennoch unterm Rock die
Beine an. »Meine untertänigste Entschuldigung, Mylady, Sie in Ihrer Ruhe
gestört zu haben«, sagte er gedehnt. »Als der Detektiv, den Sie engagiert
haben, mir Nachricht gegeben hat, lag ich ebenfalls im Bett, habe aber noch
nicht geschlafen.«
»Weshalb
überrascht mich das nicht?«, murmelte sie, behielt aber den kühlen
Gesichtsausdruck bei.
Thane zog
die grünen Augen zusammen. »Ich war ebenfalls allein.«
Diana
spürte, wie sie errötete. Sie wandte den Blick ab, zog ihre Handschuhe an und
zurrte die seidenen Bänder am Halsverschluss ihres langen Mantels fest. »Was
meinen Sie, hat dieser Watkins diesmal eine ernst zu nehmende Spur?«
»Bei Gott,
ich hoffe es. Falls nicht, dann bleibt uns nur noch die
Erklärung, die wir schon vor zwei Wochen hatten – dass Ihr Cousin sich mitsamt
seines Pferds in Luft aufgelöst hat.«
Die Kutsche
machte eine scharfe Kurve, worauf sie beide verstummten. Diana schob den
Vorhang zur Seite. Sie fuhren an einer Reihe leer stehender Speicherhäuser
vorbei, eines verwahrloster als das andere. Schließlich hielt der Wagen vor einem
abschreckenden Gebäude mit verrammelten Fenstern, die wie tote Augen in die
Nacht starrten.
Der
Kutscher stieg vom Bock und riss den Schlag auf. Diana stellte schnell fest,
dass sie nicht weit vom Hafen entfernt sein konnten. Der Gestank von
verdorbenem Fisch war überwältigend.
»Warten Sie
hier auf uns«, befahl Thane dem Kutscher, als sie aus dem Wagen stiegen.
»Sind Sie
sicher, dass das klug ist, Sir?«, fragte der Mann und schaute nervös die
verlassene Straße hinunter.
»Absolut
nicht«, antwortete Thane. »Aber so lauteten die Anweisungen, die man uns
gegeben hat.«
Als der
Schatten des riesenhaften Gebäudes sie verschluckte, ließ Diana sich gegen
Thane sinken, ohne es überhaupt zu bemerken und dachte nicht einmal daran, zu
protestieren, als seine behandschuhte Hand ihren Ellenbogen umschloss. Thane
ließ den Haupteingang links liegen und geleitete sie stattdessen zu einem
schmalen Durchgang zwischen zwei zerbröckelnden Ziegelmauern.
Eine
unscheinbare Holztür tauchte aus der Dunkelheit auf. Thane klopfte schroff an.
Nichts passierte.
»Ist das
vielleicht die falsche Adresse?«, fragte Diana hoffnungsvoll, während sie über
seine Schulter lugte.
Bevor Thane
antworten konnte, knarrten die verrosteten Türangeln auf. Ein Bär von einem
Mann mit spitzen Zähnen und schmierigem Backenbart türmte sich vor ihnen auf,
einen großen Knochen mit Fleischresten in der fleischigen Faust. Diana fragte
sich unwillkürlich, ob es sich wohl um den Oberschenkelknochen eines Besuchers
handelte, der es gewagt hatte, den Bärtigen beim Essen zu stören.
Zu Thanes
Ehre musste gesagt werden, dass er mit keiner Wimper zuckte. »Ich bin
hergekommen, um Watkins zu treffen. Er hat nach mir geschickt.«
»Da
entlang.« Als der Kerl abrupt mit dem Knochen hinter sich zeigte, spritzte das
Fett nur so durch die
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