Teuflische Kuesse
geben geruhte. Als die erste Strophe von »Komm, du Quelle
aller Gnade« das Kirchenschiff erfüllte, stieß sie ihn an, um ihn zum
Aufstehen zu bewegen. Ihre Stimme war nicht der luftige Sopran, den er erwartet
hatte, sondern ein kehliger Alt, der ihn vor Begehren schaudern ließ. Er
blickte reuig zum Himmel empor und rechnete schon halb damit, dass der Herr ihn
mit einem Blitzschlag töten wurde ob dieser lüsternen Gedanken in Seinem Haus.
Sein Nacken
prickelte eigenartig. Er schlug auf den Kragen, weil er fürchtete, eine
unglückselige Motte säße darunter fest. Aber es hört nicht auf zu prickeln. Er
drehte sich um und sah hinter sich einen Mann stehen, dem die buschigen, schwarzen
Augenbrauen zusammengewachsen über die ganze Stirnbreite liefen und der ihn mit
Blicken durchbohrte. Als er sich weiter umwandte, entdeckte er auf der anderen
Seite des Gangs einen zweiten, finsteren Gaffer. Einen pockennarbigen Kerl,
dessen Gesicht aussah, als müsse es gründlich gewaschen werden. Der Mann hielt
Nicholas' kühlem Blick keine Minute lang stand, dann senkte er verlegen die
Augen.
Nicholas
konzentrierte sich verwirrt wieder auf den Altar. Vielleicht ließ seine
lachhafte Aufmachung ihn überempfindlich reagieren und bloße Neugier als
Feindseligkeit auffassen.
Als die
Gemeinde sich setzte, hob der weißhaarige Geistliche zu einer Predigt an, die
Nicholas bald fürchten ließ, er könne erneut das Bewusstsein verlieren.
Er war
gerade dabei einzudösen, als die durchdringende Stimme des Pfarrers ihn
hochriss. »... mir eine große Ehre, das Aufgebot zur Eheschließung zwischen Mr
Nicholas Radcliffe und Miss Laura Jane Fairleigh bekannt zu geben. Wenn einer
von euch einen Grund oder ein gerechtfertigtes Hindernis kennt, warum diese
beiden nicht im heiligen Bund der Ehe vereint werden können, dann spreche er
jetzt. Dies ist das erste Mal, dass dieses Aufgebot verkündet wird.«
Nicholas
war nicht der Einzige, den die Worte des Pfarrers unvorbereitet trafen. An
Stelle der Stille, die üblicherweise einem Aufgebot folgte, rumorte es
vernehmlich im Kirchenschiff. Nicholas schaute erst nach rechts und dann nach
links. Mehrere Männer starrten ihn mit unverhohlenem Unmut an. Nicholas fragte
sich ernsthaft, ob einer von ihnen gebildet genug war, jenen Brief zu Papier
zu bringen, den seine Verlobte verbrannt hatte, oder eloquent genug, Lauras
Leidenschaft derart anzustacheln.
Laura
blickte mit glühenden Wangen unverwandt geradeaus. Stocksteif stand sie da,
bar jener schmelzenden Weichheit, die sie ihm letzte Nacht gezeigt hatte.
Als der
Pfarrer zur Kollekte schritt, ergriff Nicholas ihre behandschuhte Hand und
flüsterte: »Sie hätten mich warnen können.«
Ihre Nase
kräuselte sich. Sie lächelte nervös und wisperte: »Das war ja erst die erste
Lesung des Aufgebots. Ihnen bleiben noch zwei weitere Sonntage, sich gegen
unsere Verbindung zu erklären.«
Er fuhr mit
dem Daumen besitzergreifend über ihre Fingerknöchel. »Und weshalb sollte ich
das tun, wo mich doch offensichtlich jeder Mann im Dorf beneidet? Aus den
Blicken zu schließen, die man mir zuwirft, bin ich nicht der Einzige, der Ihnen
einen Antrag gemacht hat.«
»Aber der
Einzige, dessen Antrag ich angenommen habe«, mahnte sie ihn.
»War unsere
Verlobung ein Geheimnis, oder haben Ihre anderen Verehrer ebenfalls das
Gedächtnis verloren?«
»Sch ...«
Sie entzog ihm ihre Hand. »Es ist jetzt an der Zeit, Gott für unsere
Verfehlungen um Vergebung zu bitten.« Während sie sich zusammen mit dem Rest
der Gemeinde erhoben,
flüsterte Nicholas mit heiserer Stimme: »Und welche Sünde könnte ein
Unschuldslamm wie Sie bekennen müssen?«
Da war er
wieder. Dieser Anflug von Angst in Augen, die kein Leid hätten kennen dürfen.
»Vielleicht haben Sie ja auch die Heilige Schrift vergessen, Sir. Keiner von
uns ist ohne Sünde. Nicht ein Einziger.« Laura kniete sich hin, und die geschwungene
Krempe ihres Huts schirmte ihr Gesicht vor seinem Blick ab.
Er starrte
eine ganze Zeit lang ihren cremeweißen Nacken an, dann kniete er sich ungelenk
neben sie. Er hätte geschworen, dass er es nicht gewohnt war, vor
irgendjemandem zu knien – nicht einmal vor Gott. Er schloss pflichtschuldigst
die Augen, doch er tat nur so, als bete er. Die Worte, die Laura so
selbstverständlich über die weichen, rosafarbenen Lippen kamen, waren ihm
versagt. Genau wie die Überzeugung, dass irgendjemand diesen Worten voller
Anteilnahme lauschte.
»Sie
sind ein schönes
Paar,
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