Teuflische List
Quinlan.
Die Polizei, das wusste Quinlan, hatte schon während der ersten Verhöre instinktiv gefühlt, dass sie es nicht mit einer, sondern mit zwei ernsthaft gestörten Frauen zu tun hatte.
»Das nenne ich bizarr«, hatte Detective Inspector Fletcher einmal bemerkt.
Ein Mann war auf grausame Art gestorben, durchbohrt vom Dorn eines Cellos, mit dem vorher auf ihn eingedroschen worden war. Eine halb blinde, schwangere Frau (die nun behauptete, was sie zuerst geleugnet hatte, nämlich dass ihr Mann ihr absichtlich die Chemikalie ins Gesicht geschüttet habe), diese Frau gab freimütig zu, dass sie ihren Mann in einem Anflug von panischer Angst getötet hatte, weil sie geglaubt hatte, er wollte sie, ihre Schwägerin und deren Kind umbringen. Und sie und Julia Weston, die andere Frau, redeten beide vonvergangenen Verbrechen, von vorgetäuschten Raubüberfällen und sogar von einer Erdnuss vergiftung …
Weder Fletcher noch Philip Quinlan – niemand außer Jules, Abigail und Vater Michael Moran – wussten von der Leiche im Garten des Hauses in Muswell Hill.
Es war Jules gewesen, die Abigail eines Nachmittags im Pfarrhaus besucht hatte, die zum ersten Mal vorgeschlagen hatte, der Polizei von dem Teich und der Steinbank zu erzählen und was darunter lag.
»Wozu?«, fragte Abigail.
»Es könnte in deinem Fall helfen«, antwortete Jules.
»Ich wüsste nicht, wie«, erwiderte Abigail. »Sie haben schon das Schlimmste über Silas gehört.«
»Dann würde es vielleicht mir helfen«, sagte Jules.
»Wie könnte es dir helfen, wenn man dich wegen Gott weiß was anklagen würde?«
»Wenigstens wäre die Lügerei dann zu Ende«, sagte Jules.
»Aber du darfst nicht nur an dich denken, vergessen?«, bemerkte Abigail.
»Du meinst Olli.«
»Natürlich«, sagte Abigail. »Nicht jetzt also – vielleicht später.«
»Und was passiert, wenn wir das Haus verkaufen?«, fragte Jules leise, denn der Priester und seine Haushälterin konnten jeden Augenblick zurückkommen. »Lassen wir ihn dann einfach liegen ?«
»Es sei denn, du beschließt, das Haus nicht zu verkaufen«, sagte Abigail.
»Keine von uns beiden wird je wieder dort wohnen«, sagte Jules.
»Tja«, meinte Abigail. »Ich wüsste nicht, was du sonst tun könntest.«
Abigail nahm an, dass sie sogar in zweierlei Hinsicht schuldig war.
Jules wusste es noch nicht, doch sie hatte Philip Quinlan gebeichtet, dass damals, als ihre Eltern ums Leben gekommen waren, sie das Motorrad gefahren hatte, nicht Eddie Gibson.
»Und was soll ich deswegen unternehmen?«, hatte der Anwalt gefragt.
»Ich weiß es nicht«, hatte Abigail geantwortet. »Ich bin bloß der Meinung, seine Eltern sollten es wissen.«
Quinlan hatte eine Weile nachgedacht.
»Darf ich offen zu Ihnen sein?«, fragte er schließlich.
»So offen, wie Sie wollen«, antwortete Abigail.
»Das ist jetzt fünfzehn Jahre her«, sagte er, »und ich bezweifle, dass es Ihrem Fall größeren Schaden zufügen würde. Aber es würde auch nichts nützen.«
»Dann wollen Sie, dass ich warte, bevor ich es ihnen sage?«
Quinlan blickte ihr ins Gesicht. Die Augen waren noch immer hinter der dicken Sonnenbrille verborgen.
»Wenn Sie glauben, damit fertig zu werden«, sagte er.
Fünfzehn Jahre.
»Warum nicht?«, entgegnete sie müde.
54.
Drew Martin, der seit dem Tag von Silas’ Tod wie vom Erdboden verschwunden gewesen war, erschien plötzlich am Morgen des Zweiten Weihnachtstages vor Jules’ Tür.
Ollis erstes Weihnachtsfest war gerade vorbei.
Das erste nach Silas.
Mehr aus Dankbarkeit gegenüber Vater Moran als aus sonst irgendeinem Grund waren sie in die Mitternachtsmette nach St. Peter gefahren. Jules hatte Choräle gesungen und eine Zeit lang geweint.
Abigail war stumm geblieben. Der Nebel vor ihren Augen war inzwischen auch tief in ihr Inneres eingedrungen.
Sie alle hatten sanft und beständig versucht, sie davon zu überzeugen, an die Zukunft zu glauben, doch Abigail war das unmöglich.
Sie glaubte an das Kind, das sie unter dem Herzen trug.
Während der ganzen Messfeier hatte sie die Hände auf den Leib gelegt.
Und sie hatte mit ihm gesprochen.
Es tut mir Leid, Liebling.
Sie hatte ihm oder ihr – ihrer Tochter oder ihrem Sohn – immer wieder gesagt, dass es ihr Leid tue, und sie hatte ihr Kind gebeten, stark und gesund zu werden und in Sicherheit zu leben.
Alles andere – ihre Augen, ihre Verhandlung – war nichts.
Du bist alles, sagte sie ihrem Kind.
»Herr, erhöre uns«, sagte die
Weitere Kostenlose Bücher