Teuflische List
von Kopf bis Fuß, als würde er sie plötzlich in einem gänzlich anderen Licht sehen, und streichelte dann zärtlich über ihr zerzaustes Haar, bevor er sich schließlich seinem Neffen zuwandte.
»Er sieht wie unsere Mutter aus«, sagte er.
»Ich finde, er ähnelt Ralph«, erwiderte Jules.
»Nein«, widersprach Silas entschieden. »Er ist ganz wie unsere Mutter.«
Jules und Abigail schauten ihn an und versuchten jeder für sich herauszufinden, ob das gut oder schlecht war; dann sahen sie Tränen in den meergrünen Augen schimmern und waren mehr als erleichtert.
»Wie heißt er?«, fragte Silas.
»Oliver«, sagte Jules. »Olli.« Sie lächelte. »Ralph hat der Name immer gefallen.«
»Ist das alles?«, hakte Silas nach.
Jules wusste, was er meinte. »Oliver Ralph Silas Weston«, sagte sie.
»Dann habe ich’s ja gerade so eben reingeschafft«, sagte Silas.
22.
Gut vierzehn Tage nach Ollis Geburt, drei Wochen und zwei Tage nach dem Konzert, drehte Silas sich zu Abigail um, kaum dass er den Wecker ausgeschaltet hatte.
»Ich möchte«, sagte er, »dass du Charlie Nagy als deinem Agenten kündigst.«
»Was?« Sie hatte das Gefühl, als hätte er sie brutal wachgerüttelt. »Warum sollte ich?«
»Weil ich der Meinung bin«, Silas schlug ihre Decke beiseite, »dass er bis jetzt kein guter Manager war.«
»Er war ein sehr guter Manager und ein Freund.« Abigail setzte sich auf, rieb sich die Augen, wischte sich das Haar aus dem Gesicht und zwang sich aufzuwachen.
»Das mag sein, wie es will«, Silas stieg aus dem Bett, »aber wie es aussieht, wirtschaftet er eine Menge in die eigene Tasche.« Er griff nach dem Wasserglas auf seinem Nachttisch, trank es leer und sah die Verwirrung auf dem Gesicht seiner Frau. »Um genau zu sein, er hat einen Teil der Gelder für die Wohltätigkeitsorganisationen in die eigene Tasche fließen lassen.«
»Mach dich nicht lächerlich.« Abigail war wie vor den Kopf geschlagen. »So etwas würde Charlie niemals tun.«
»Glaubst du, ich hätte mir das ausgedacht?«
»Nein, natürlich nicht, aber …« Sie schüttelte den Kopf und starrte zu ihm hinauf. »Das ist ein Fehler, Silas. Wer hat dir das erzählt?«
»Die Buchhalter.«
»Dann lass mich mit ihnen reden«, sagte Abigail. »Ich werde ihnen sagen, dass sie sich geirrt haben.«
»Irgendwie bezweifle ich, dass sie dir glauben werden.«
»Ich kenne Charlie seit Jahren!«
»Aber sicher nicht so gut, oder?«
»Gut genug«, erwiderte sie beherzt.
»Deine Loyalität ist lobenswert.«
»Das hat nichts mit Loyalität zu tun«, sagte Abigail. »Ich glaube ihm einfach.«
Silas lächelte, beugte sich vor und küsste sie auf den Kopf.
»Du musst ihn feuern«, sagte er.
Voller schmerzhafter Anspannung wartete Abigail drei Tage lang, bis Silas eines Morgens voll und ganz mit einem Shooting beschäftigt war, und fuhr dann nach Bayswater.
»Ich nehme an, er hat dir erzählt, was er mir vorwirft«, sagte Charlie.
»Er hat gesagt, es seien die Buchhalter, nicht er«, erwiderte Abigail.
»Ich habe mit den Buchhaltern gesprochen.« Charlies Gesicht war abgehärmt, und seine Hände zitterten leicht, als er sich eines seiner Zigarillos anzündete. »Sie scheinen sich gar nicht sicher zu sein. Sie haben gesagt, ich soll mit deinem Mann reden, wenn ich mehr Informationen haben will.«
»Das alles ist ein schrecklicher, dummer Fehler.« Abigail ließ sich auf die Couch sinken und fragte sich, ob sie überhaupt noch willkommen war. »Macht es dir etwas aus, dass ich hier bin, Charlie?«
»Warum sollte es mir etwas ausmachen?«
»Wie du gesagt hast, er ist mein Mann.«
»Aber ihr scheint in dieser Sache nicht einer Meinung zu sein.«
»Natürlich nicht.« Abigail war zu nervös, um sitzen zu bleiben, und stand wieder auf. »Ich weiß, dass du niemals Geld unterschlagen würdest. Das muss schlicht ein Missverständnis sein.«
»Als ›schlicht‹ würde ich es nicht bezeichnen«, erwiderte Charlie trocken.
»Stimmt«, gab sie zu.
Sie nahm den angebotenen Kaffee und erklärte sich einverstanden, noch ein wenig zu bleiben. Sie tat ihr Bestes, Charlie zu versichern, dass sie felsenfest an ihn glaubte, und hatte das Gefühl, auch Erfolg damit zu haben. Doch während sie noch mit ihm plauderte und ihm ihre Freundschaft demonstrierte, erkannte Abigail zu ihrer Verzweiflung ihre Zwangslage: Wenn sie Charlie glaubte, würde das bedeuten, dass sie Silas keinen Glauben schenkte.
Über dieses Problem wollte sie nicht einmal nachdenken.
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