Teuflische List
Die Vorstellung, er könnte etwas derart Übles über jemanden erfunden haben, war ihr unerträglich.
Doch als sie schließlich die Agentur verließ, wusste sie, dass zumindest die Möglichkeit untersucht werden musste.
Warum sollte Silas so etwas tun?
Eifersucht vielleicht, dachte sie, während sie auf die Bahn der Central Line wartete.
Der Zug rumpelte in den Bahnhof. Abigail stieg ein und setzte sich einem Mann gegenüber, der einen Cheeseburger aß. Sie schloss die Augen, um den Anblick zu verdrängen, und wünschte sich, sie wäre mit dem Mini in die Stadt gefahren. Ihre Gedanken kehrten zum Abend desKonzerts zurück, zu der Szene in der Garderobe der Jerome Hall, und wie Silas aus dem Zimmer gestürmt war. Könnte es sein, dass er erwartet hatte, sie würde ihm hinterherlaufen? Hatte er gesehen, wie Charlie in die Garderobe gekommen war, oder hatte es ihn vielleicht geärgert, dass Charlie sie nach Hause gefahren hatte?
Quatsch.
Allerdings wusste Abigail, dass Silas schlecht verzeihen konnte. Schließlich hatte sie seine Reaktion miterlebt, als Jules ihm nicht sofort gesagt hatte, dass sie schwanger war.
Trotzdem. Wenn man eine Freundin, eine Klientin nach Hause fuhr, gab es wohl kaum etwas zu verzeihen. Und Silas konnte unmöglich wissen, dass sie an jenem Abend mit Charlie essen gegangen wäre, hätte er nicht darauf bestanden, sie sofort nach Hause zu fahren.
Diese Gedanken machten ihr zu schaffen, während sie in der Tottenham Court Road zum Bahnsteig der Northern Line ging und dort auf den Zug nach Highgate wartete. Dabei fiel ihr das andere, frühere Gespräch wieder ein, als Silas hatte wissen wollen, ob Charlie schwul sei, worauf sie leichthin gesagt hatte, wie eifersüchtig er doch sei, und Silas hatte geantwortet: »Versuch nie, das herauszufinden.«
Also steckte vielleicht Eifersucht hinter alledem. Als sie sich nach dem Konzert so schrecklich aufgeführt hatte, war Silas’ Stimmung vielleicht düsterer gewesen, als sie geglaubt hatte. Schließlich war angesichts der Demütigung das Temperament mit ihr durchgegangen, und sie hatte Silas beschimpft, anstatt ihm zu danken, und dann war da noch Charlie gewesen, dem sie einen Kuss gegeben hatte, aber nur auf die Wange, um Himmels willen …
Vielleicht war es gar keine sexuelle Eifersucht, überlegte Abigail und stieg in den Zug nach High Barnet. Vielleicht war es mehr eine Frage der Loyalität. Vielleicht konnte Silas den Gedanken nicht ertragen, dass sie mit Charlie über ihn geredet hatte – und das hatte sie ja. Falls Silas glaubte, dass sie ihn dem anderen Mann gegenüber kritisiert hatte, lief diese Anklage, die Forderung, Charlie zu feuern, vielleicht auf diesen einen unverzeihlichen Akt hinaus.
Falls es tatsächlich Eifersucht war, überlegte Abigail, sollte sie sich eigentlich geschmeichelt fühlen. Immerhin war es ein Symptom seiner beständigen Liebe zu ihr. Und Liebe ging in Abigails begrenzter Erfahrung oft mit Kontrolle einher. Ihre Mutter hatte sie ja auch kontrollieren wollen.
Aber nicht so.
Nichtsdestotrotz, dachte sie, als der Zug in Euston einfuhr, war es Liebe, und Silas hatte sie vor einem Leben in Einsamkeit gerettet. Und sie liebte ihn auch, über alle Maßen – und es gab gewisse Dinge, die man für die Menschen tun musste, die man liebte.
Cello spielen.
Den Agenten und Manager feuern.
Sich vor dem eigenen Zorn hüten.
Besonders wenn man wusste – besser und schmerzhafter als alle anderen –, dass man ein Talent zur Zerstörung hatte.
23.
Bei der Taufe Anfang April hätte alles wieder in Ordnung sein können, hätte Jules Abigail nicht gefragt, ob sie gerne ohne Begleitung in der Kirche spielen wolle.
»Sehr gerne.«
»Bist du sicher?«, fragte Jules.
»Ich war mir noch nie sicherer«, antwortete Abigail.
In diesem Fall, sagte Jules zu Abigail, schien es angemessen, Charlie Nagy einzuladen, den sie mochte und der, wie sie erkannte, ein guter Freund für Abigail war – auch wenn Silas das anders sah. Nach Jules’ Meinung hatte Abigail ohnehin zu wenig Freunde, was zumindest teilweise an Silas liege; deshalb habe sie auch weder Abigail noch Silas um ihre Meinung gefragt, als sie die Einladung ausgesprochen hatte.
Am fraglichen Tag kam Silas allein in die Kirche St. Barnabas in Highgate Hill (Abigail war schon früher gekommen, um mit ihrem Cello vorne zu warten). Als er Charlie in der dritten Reihe sah, schritt er geradewegs zu Jules, die Oliver in den Armen hielt.
»Sag Nagy, er soll verschwinden«,
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