Teuflische List
stellte Abigail die Tassen leise auf den Kaffeetisch.
»Himmel noch mal, Abigail!«
Seine Stimme erschreckte sie so sehr, dass eine der Tassen umkippte, Kaffee über den Tisch schwappte und von dort auf den Teppich lief. Sie blickte zu Silas, sah, wie blass er war, wie schwer er atmete und dass er sich senkrecht aufgesetzt hatte.
»Du hast mich zu Tode erschreckt«, sagte er. »So wie du herumgeschlichen bist.«
»Ich bin nicht herumgeschlichen«, erwiderte sie. »Ich habe nur versucht, dich nicht zu wecken.«
»Du hättest es besser wissen müssen«, sagte er. »Du weißt, wie aufgekratzt ich bin.«
»Immer mit der Ruhe.« Sie machte sich auf den Weg zur Tür, um etwas zum Aufwischen zu holen.
»Genau das versuche ich ja«, sagte Silas.
»Allmählich glaube ich, dass er zu einem Arzt sollte«, sagte Abigail zu Jules am Telefon.
»Weshalb?«, fragte Jules. »Beruhigungsmittel?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Abigail. »Auf jeden Fall braucht er etwas, um ruhiger zu werden. Er ist schrecklich nervös. Ich fürchte, das könnte noch zu einem Unfall führen.«
»Vielleicht sollte er es mal mit Yoga versuchen.«
»Kannst du dir Silas im Lotossitz vorstellen?«, fragte Abigail spöttisch.
»Ralph und ich haben es ein paar Mal versucht …«Dass Jules lächelte, war deutlich zu hören. »Wir waren zwar beide hoffnungslose Fälle, aber wir haben eine Menge gelacht, und das hat uns entspannt.«
Abigail schwieg einen Augenblick.
»Ich kann mir Silas immer noch nicht vorstellen«, sagte sie.
Ein paar Tage später ging sie wieder zum Tee zu Michael Moran und erwähnte beiläufig die Anspannung, unter der Silas seit dem Einbruch stand.
»Er sollte die Leute von der Opferbetreuung kontaktieren«, schlug der Priester vor.
»Die Polizei hat ihm schon so etwas angeboten«, sagte Abigail.
»Und er hat gesagt, er bräuchte das nicht?« Vater Moran sah sie nicken. »Viele Leute – besonders Männer – halten es für ein Eingeständnis von Schwäche, obwohl es genau das nicht ist.«
»Wenigstens redet er mit mir darüber«, sagte Abigail.
»Er ist ein sehr glücklicher Mann«, sagte der Priester, »dass er jemanden wie Sie hat.«
Sie fragte sich, ob er wirklich von Silas sprach.
Opfer oder Killer …
35.
»Treffen wir uns heute zum Lunch?«, fragte Silas nach dem Frühstück am folgenden Montag, dem letzten im September.
»Ich muss im Laden arbeiten. Drew hat Urlaub, schon vergessen?«
»Ich werde mit deinem Boss reden, dass sie dir zum Mittagessen frei gibt«, sagte er.
»Wenn du so viel Einfluss hast«, entgegnete Abigail. »Aber treib es nicht zu weit.«
»Wie wär’s mit Florians?«, schlug Silas vor. »Um halb eins?«
»Wunderbar«, antwortete Abigail zufrieden.
Sie wartete in dem Restaurant auf ihn, das nur einen kurzen Fußmarsch von Jules’ Books entfernt lag, nippte an einem Glas Pinot blanc und fragte sich wie immer, wenn sie nichts zu tun hatte, was für eine Art Frau sich auf ein Treffen mit einem Mann wie Silas freute. Einem Mann, der zu solch schrecklichen Dingen fähig war.
Wie immer kamen die Antworten schnell und schmerzhaft.
Eine Frau, die schon Schlimmeres getan hatte.
Nein, nicht Schlimmeres.
Die fast genauso gut war.
Genauso schlecht.
Sie wartete bis Viertel nach eins, dann bestellte sieeinen Hühnersalat, aß ihn rasch und kehrte wieder in den Laden zurück, um Jules abzulösen. Schließlich rief sie im Studio an.
»Oje«, sagte Silas. »Das hatte ich ganz vergessen.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir ein Handy zulege«, sagte Abigail.
»Lass es mich wieder gutmachen«, sagte Silas. »Samstagabend.«
Am Samstagnachmittag, kaum dass sie mit mehreren Einkaufstaschen von Marks und Spencer gekommen war, rief Silas an, um zu bestätigen, dass er einen Tisch bei Loch Fyne bestellt hatte, gegenüber von Florians. Allerdings hätte er im Augenblick noch mit einem ungewöhnlich komplizierten Job zu kämpfen. Ob es ihr etwas ausmachen würde, sich ein Taxi zu nehmen und im Restaurant auf ihn zu warten?
»Ich könnte auch ins Studio kommen«, sagte Abigail.
»Fahr lieber direkt dorthin«, entgegnete er. »Dann kannst du wenigstens schon mal was trinken, falls ich mich ein paar Minuten verspäten sollte.«
»Würdest du lieber absagen?«, fragte Abigail. »Das wäre kein Problem für mich.«
»Für mich aber«, erwiderte Silas. »Ich freue mich viel zu sehr darauf.«
Abigail rief sich ein Taxi und traf fünf Minuten zu früh im Restaurant ein. Sie bestellte
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