Teuflische List
sagte sie. »Es ist Wahnsinn, sich auch nur vorzustellen, du könntest mit so etwas durchkommen.«
»Dann werde ich wohl dem Wahnsinn anheim fallen«, sagte Silas, »denn so oder so habe ich nicht die Absicht, Abigail gehen zu lassen, solange sie mein Kind unter dem Herzen trägt.«
Olli rührte sich in seinen Armen und wimmerte.
Jules streckte die Arme aus. »Bitte, gib ihn mir.«
Silas schaute nach unten. »Es ist immer noch schwer, seinen Vater in ihm zu sehen, findest du nicht?«
»Ich sehe Ralph ständig in ihm.«
Allein den Namen auszusprechen ließ die Wut in ihr wieder emporkochen.
»Du hast ihn auch getötet, nicht wahr?«, sagte sie. »Du bist zu Ralph gegangen in jener letzten Nacht und hast ihm das Essen gebracht.« Sie beobachtete sein Gesicht, obwohl sie ohne jeden Zweifel wusste, dass sie Recht hatte. »Du hast ihm gesagt, es sei in Ordnung, und er hat dir geglaubt.«
»Du hättest ihm nicht von unserem Vater erzählen dürfen«, sagte Silas ruhig. »Eigentlich war es deine Schuld, Jules.«
Abigail hörte oben an der Treppe zu. Plötzlich überkam sie eine derartige Übelkeit, dass sie glaubte, in Ohnmacht zu fallen. Ihre Hände wanderten zu ihrem Bauch und von dort aus tiefer.
Sie musste es jetzt beschützen.
Nein, nicht es – ihn oder sie.
Abigail tastete nach der Wand. Mehr denn je verzweifelte sie an ihrer Blindheit. Ausgerechnet jetzt konnte sie sich nur schrecklich langsam bewegen, wo sie Jules und Olli zu Hilfe eilen sollte. Doch der gesunde Menschenverstand sagte ihr, dass es niemandem helfen würde, falls sie stürzte und Silas es hörte.
Besonders nicht meinem Baby.
Sie erreichte das Schlafzimmer, zögerte, änderte ihre Meinung und ging weiter zum Musikzimmer. Sie zog den Schlüssel außen ab, ging hinein, schloss die Tür und sperrte sich ein.
Jetzt konnte sie nicht einmal mehr etwas hören.
Sie begann, auf und ab zu laufen. Da sie die Maße des Zimmers kannte, lief sie nicht Gefahr, gegen die Wand zu rennen.
Sie dachte darüber nach, was sie gerade gehört hatte.
Trotz allem, was Silas ihr über Charlie erzählt hatte, trotz all ihrer Vermutungen – die nun mehr als nur Vermutungen waren, Gott helfe ihnen allen – war ihr nie auch nur der Gedanke gekommen, er könne dem Mann seiner Schwester etwas so Bösartiges und Verabscheuungswürdiges antun.
Sie blieb stehen und erinnerte sich daran, wie sehr Jules Ralph geliebt hatte. Und dann dachte sie an Silas, ihren geliebten Phönix, und selbst das bereitete ihr nun Übelkeit … ihre blinde, wirklich blinde Liebe zu ihm. Sieerinnerte sich daran, wie er als Erster in die Küche gegangen war und Ralphs Leiche gefunden hatte.
Sie erinnerte sich daran, wie Jules den Toten in den Armen gehalten hatte.
Sie erinnerte sich an Ralphs verzerrtes Gesicht.
Sie erinnerte sich daran, wie Silas zum Telefon neben dem Toten gegangen war und erklärt hatte, Ralph müsse es fallen gelassen haben, als er versucht hatte, um Hilfe zu rufen.
Und dabei war er es die ganze Zeit gewesen, der …
Abigail ging zur Zimmermitte, fand ihr Cello und ihren Bogen, zog sich den Stuhl heran, setzte sich und begann zu spielen.
Wieder einmal blendete sie alles aus.
Silas und Jules befanden sich noch immer unten im Flur und hörten das Cello.
Seinen wilden Schmerz.
»Gut.« Olli noch immer in den Armen – das Baby war inzwischen aufgewacht –, schob Silas sich an Jules vorbei zur Treppe.
»Gib ihn mir«, sagte Jules verzweifelt und folgte ihm hinauf. » Bitte, Silas.«
Er beachtete sie nicht, wandte sich zum Musikzimmer und versuchte, die Tür zu öffnen.
»Abigail«, rief er. »Lass mich rein.«
Das Cello verstummte.
»Gib mir meinen Sohn«, sagte Jules hinter ihm.
Silas hämmerte an die Tür.
»Abigail«, brüllte er. »Mach auf!«
»Bleib, wo du bist, Abigail«, rief Jules noch lauter.
Silas wirbelte herum. »Sei still.«
Olli begann zu weinen; seine Wangen waren heiß.
»Ist schon gut, mein Liebling«, sagte Jules so ruhig sie konnte und versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. »Silas, bitte, gib ihn mir.«
Silas’ Augen waren härter und kälter denn je.
»Mein Gott.« Jules konnte nicht anders. »Ich hab ja nie gewusst, wie Recht unsere Mutter hatte, als sie das Haus mir vererbt hat.«
»Halt den Mund«, sagte Silas.
Ollis Weinen wurde lauter, und er streckte das pummelige Ärmchen nach seiner Mutter aus.
»Sie muss es in dir gesehen haben«, fuhr Jules fort, getrieben von blanker Wut. »Die Fäulnis … schon
Weitere Kostenlose Bücher