Teuflische List
kleine Kerl wieder in seinem Reisebettchen neben Drew auf der Couch. Drew hatte den Fernseher leise gedreht, um den Jungen nicht zu wecken.
Drew seufzte und schaute auf das schlafende Kind.
Jules hatte sehr … angefressen ausgesehen. Ja, das war das Wort, das seine Mutter benutzt hätte.
Angefressen und ängstlich.
»Mach dir keine Sorgen, Olli«, sagte er leise. »Mami wird bald wieder zurück sein.« Er zögerte. Drew glaubtefanatisch an die Ehrlichkeit, auch wenn das bei schlafenden Babys wohl ein wenig übertrieben war. »Sobald sie kann, mein Süßer, hm?«
Es klingelte an der Tür.
»Du liebe Güte.« Drew lächelte. »Da war sie ja schneller, als wir gedacht haben.«
49.
Jules hatte das Haus nun schon seit mehreren Minuten zwischen den Bäumen hindurch beobachtet. Sie saß in ihrem Wagen, den sie ein Stück den Hügel hinunter geparkt hatte.
Zeit zu gehen.
Sie stieg aus, schloss geräuschlos die Tür, steckte die Schlüssel in die obere linke Hosentasche, knöpfte sie zu und schlich zum Haus.
Nicht die Vordertür.
Das war absurd. Das war das Haus ihres Bruders, das Heim ihrer Familie, das ihre Mutter ihr – ihr – vererbt hatte.
Sie blieb kurz stehen und richtete ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart.
Das Haus lag in völliger Dunkelheit, soweit Jules es beurteilen konnte, und seit ihrer Ankunft hatte sie keinerlei Zeichen von Aktivität gesehen. Auch war Silas’ VW nirgends zu sehen. Allerdings war auch die Garage geschlossen, also stand der Wagen vermutlich dort drin.
Trotzdem ist es besser, leise und vorsichtig zu bleiben.
Nein, so absurd war das alles nach seinen Drohungen gar nicht.
Und nach ihren neuen Verdachtsmomenten in Bezug auf Ralph.
Wut kochte in ihr hoch und ließ sie körperlich wie geistig erzittern.
Nicht jetzt, ermahnte sie sich. Später, aber nicht jetzt.
Sie schlich rechts um das Haus herum und achtete auf jeden einzelnen Schritt. Die Taschenlampe wollte sie erst einmal nicht einschalten aus Angst, die Brooks oder ein Passant könnten sie sehen und für einen Einbrecher halten.
Da war das Fenster, direkt neben der Tür, und der viel versprechend aussehende, nicht ganz gerade Fensterrahmen.
Jules blieb stehen.
Tür oder Fenster?
Die Tür, die zu einem kleinen Vorraum neben der Küche führte, war offensichtlich vorzuziehen, nur dass Jules dafür ihre alten Hausschlüssel würde herausholen müssen – vier Chubbs und fünf Yales, alle unmarkiert und an einem einzigen Schlüsselbund, sodass sie mit Sicherheit klimpern würden. Und selbst wenn Jules den richtigen Schlüssel fand – und das Schloss nicht ausgetauscht worden war –, waren da noch immer die beiden Riegel innen, oben und unten. Vielleicht waren sie nicht vorgeschoben, aber die Tür könnte quietschen und …
Aber nicht so laut wie ein altes, verrostetes Fenster.
Mit einer behandschuhten Hand öffnete Jules ihre Hosentasche, zog vorsichtig die Hausschlüssel heraus und drückte sie an ihr Sweatshirt, um jedes Geräusch zu vermeiden. Dann griff sie zu ihrer Taschenlampe, leuchtete auf das Schloss und versuchte es mit dem ersten Schlüssel.
Nichts.
So würde es niemals klappen.
Geh zur Vordertür.
Ja. Genau das sollte sie tun, bevor hier alles außer Kontrolle geriet. Sie sollte zur Vordertür gehen wie jedesnormale Familienmitglied und es dort mit ihren Schlüsseln versuchen. Sollten sie nicht passen, musste sie klingeln und laut anklopfen, bis Silas keine andere Wahl blieb, als aufzumachen. Und wenn er sie nicht hereinließ, wenn er ihr keine andere Wahl ließ, würde sie zu den Nachbarn gehen und diese wecken.
Spätestens das würde sie ins Haus bringen.
Nur dass Max und Tina Brook vermutlich keine Unannehmlichkeiten wollten, geschweige denn mit Jules ins Haus gehen. Und sollte sie den Brooks auch nur ein Fitzelchen von der Wahrheit erzählen, würden sie vermutlich sofort Reißaus nehmen, sich in ihrem Haus einschließen und die Polizei rufen.
Was vielleicht doch das Beste war.
Wahrheit und Gerechtigkeit. Und Sicherheit für Olli, Abigail und deren Baby.
Und Gefängnis für Silas.
Ihr großer Bruder, den sie so sehr geliebt hatte … immer noch liebte.
Aber wie konnte sie jetzt noch jemanden lieben, der so schreckliche Dinge getan hatte? Jemanden, der seiner Frau gegenüber zumindest so getan hatte, als hätte er einen Mann ermordet? Jemanden, den sie inzwischen verdächtigte, ihren Ralph getötet zu haben?
Jemanden, der gedroht hatte, Olli zu töten?
Jules traf eine
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