Teuflische List
Leben.
Jules knipste die Taschenlampe wieder ein. Inzwischen war sie sicher, dass beide oben im Bett lagen – genau das, was sie am meisten gefürchtet hatte.
Eine direkte Konfrontation mit Silas, und Abigail war noch immer halb blind.
Jules wappnete sich und machte sich auf den Weg die Treppe hinauf.
Falls Silas schlief, war er zumindest ein bisschen verwundbarer.
Jules erreichte das Obergeschoss, leuchtete den Weg zur Schlafzimmertür ab, knipste die Taschenlampe aus und ging noch einmal den Plan durch, den sie sich zurechtgelegt hatte: Sie würde die Tür aufreißen, das Licht einschalten und hoffen, mit ein wenig Glück Silas so zu überraschen, dass sie kurz die Oberhand hatte.
Sie erreichte die Tür und streckte zitternd die noch immer behandschuhte Hand aus.
Denk an Ralph.
Denk an Olli.
Sie drückte die Klinke hinunter.
Nichts geschah.
Jules tastete nach dem Schiebeschalter der Taschenlampe, richtete den Strahl auf das Schloss und sah den Schlüssel.
Sie drehte ihn, öffnete die Tür und schaltete das Licht ein.
Silas war weder im Bett noch im Zimmer.
Abigail war aus dem Schlaf geschreckt und hatte sich halb aufgesetzt.
»Wir haben keine Kätzchen«, sagte sie verwirrt.
»Ich bin es nur«, sagte Jules leise. »Wo ist Silas?«
»Ich weiß es nicht.« Abigail schüttelte den Kopf; sie war nun vollkommen wach. »Er hat mich vor einiger Zeit eingesperrt … eigentlich wollte ich gar nicht einschlafen.«
Jules ging zum Bad und fand auch dort niemanden. »Ich glaube nicht, dass er im Haus ist.« Abigail war bereits aufgestanden und tastete nach ihrem Morgenmantel.
»Vergiss das«, sagte Jules. »Wir ziehen dich an und bringen dich hier raus.« Sie zog die Handschuhe aus, steckte sie in ihre Hosentasche, ging zum Schrank und grub eine Jeans, ein Sweatshirt und ein Paar Halbschuhe aus. »Hier.« Sie legte Jules die Sachen in die Arme. »Zieh das an. Ich lausche so lange an der Tür.«
»Such nicht nach ihm, Jules«, sagte Abigail. »Er ist verrückt geworden. Er hat gesagt, dass er mich einsperren will, bis das Baby geboren ist.«
»Hast du gehört, wie er rausgegangen ist?« Jules schaute zu, wie ihre Schwägerin die Jeans anzog.
Abigail schüttelte den Kopf. »Aber seit du weg bist, ist er ständig gekommen und wieder gegangen.« Vorsichtig zog sie das Sweatshirt über den Kopf, um ihre Augen nicht zu verletzen. Dann zog sie einen Schuh an und fischte nach dem zweiten, fand ihn und neigte besorgt den Kopf zur Seite. »Jules?«
»Ich bin hier. Alles okay.« Jules entdeckte Abigails Sonnenbrille auf dem Nachttisch, ging hinüber und gab sie ihr. »Hier, deine Brille.«
Abigail setzte sie auf. »Wo ist Olli?«
»Mit Drew in Sicherheit«, sagte Jules. »Fertig?«
»Meine Tasche«, sagte Abigail.
Jules schaute sich um, sah die Tasche auf dem Stuhl vor der Kommode und gab sie Abigail. »Lass uns von hier verschwinden.«
Sie waren unten und auf halbem Weg zur Tür, als Jules plötzlich zögerte.
»Ich sollte Drew anrufen und ihn warnen.«
»Du glaubst doch nicht, dass Silas …« Abigail hielt entsetzt inne.
»Bleib hier, und rühr dich nicht. Ich bin gleich wieder da.«
Sie rannte in die Küche und kehrte eine schier endlos lange Minute später zurück.
»Keine Antwort.«
»Vielleicht ist er …«
»Wir müssen zu ihm.« Jules packte sie am Arm. »Lass uns gehen.«
Beide hörten den Schlüssel im Schloss.
Jules sah, wie die Vordertür sich öffnete.
Silas stand in der Tür. Olli schlief in seinen Armen.
»Wollt ihr weg?«, fragte er.
Abigail stieß einen leisen, ängstlichen Laut aus.
»Er hat Olli«, berichtete Jules und stieß Abigail rasch und entschlossen zur Treppe zurück. »Abigail, geh wieder nach oben ins Schlafzimmer, und schließ dich ein.«
»Ich werde dich nicht allein lassen«, sagte Abigail.
»Ich komme schon zurecht«, erwiderte Jules in scharfem Tonfall. »Geh.«
»Ja, geh, Abigail«, sagte Silas und schloss die Tür hinter sich.
»Was hast du mit Olli vor?«, fragte Abigail.
»Abigail, bitte, tu, was ich dir sage«, sagte Jules. »Ich komme schon zurecht.«
Abigail tastete nach dem Geländer, atmete tief und verzweifelt ein und ging.
Jules wartete, bis sie außer Sicht war. Dann drehte sie sich zu Silas um.
»Bitte, gib mir Olli.«
»Er fühlt sich wohl bei seinem Onkel«, sagte Silas.
Alles, was Jules sich an Erklärungen zurechtgelegt hatte, war mit einem Mal wie weggeblasen.
»Du musst doch wissen, wie unsinnig es ist, Abigail einzusperren«,
Weitere Kostenlose Bücher